Einleitung I: Der Fetischdienst

Einleitung

Einleitung I: Der Fetischdienst

Einleitung

Womit hub die Verehrung von etwas Ausserordentlichem unter den Menschen an? Das Allererste war etwas Greifbares, das sie vor sich erblickten, und das sie anstaunten, entweder besonders schätzten oder auch fürchteten. Da die freundliche Seite der Natur aber, wie es scheint, uns Menschen minder in das Auge fällt, als die dunkle, so dürfen wir sagen: die Furcht war der erste und vorherrschende Beweggrund, dass sie vor einem aussergewöhnlichen Gegenstande sich demüthigten, aus Erkenntniss ihrer eigenen Unzulänglichkeit und Schwäche. Wenn es ihnen nicht leicht möglich war mit einem Dinge fertig zu werden, so legten sie ihm wunderbare Eigenschaften bei, es mochte etwas Lebendes oder etwas Lebloses sein. Gewöhnlich deuchte ihnen ein solcher Gegenstand gefährlich, oder sie meinten doch, dass eine bedenkliche Gefahr von ihm ausgehe, wenn es auch in Wirklichkeit nicht der Fall war. Ein eigenthümlicher Zauber schien an derartigen Auffälligkeiten zu haften. So glaubte man, ein seltsam geformter Steinblock trage die Schuld, wenn in dessen Nähe sich etwas Räthselhaftes ereignet hatte, welches man für die Wirkung einer übernatürlichen Kraft, einer Art von Hexerei ansah; demzufolge hütete man sich vor dem verdächtigen Felsen für ein andermal, wich der Gegend aus, oder nahte sich, wenn es sein musste, unter ängstlichen Geberden und Bitten. Namentlich aber vor gefährlichen Thieren machte sich jene Scheu geltend, die zur Verehrung derselben führte, vor riesigen Ungethümen aller Art, vor den sogenannten Flusspferden, vor scheusslichen Krokodilen und Alligatoren, vor sehr grossen oder giftigen Schlangen und schädlichen Pflanzen. Man griff zur Beschwörung derselben und suchte ihren Zauber abzuwenden, um seine Haut vor Verderben und Nachtheil zu schützen.

Ein zweiter Beweggrund, um etwas Anssergewöhnliches zu feiern und hochzuhalten, entsprang aus der Wahrnehmung vom Gegentheil, nämlich aus der Erkenntniss des Nützlichen und Heilsamen, das ein Gegenstand für die Menschen hatte. Wir dürfen es vielleicht eine dankbare Bewunderung nennen, die man dergleichen Dingen zollte, nachdem die Erfahrung gelehrt hatte, dass in ihnen eine segensreiche Eigenschaft, ein wohlthätiges Etwas, eine Hülfe gegen Gefahr sich biete. So geschah es denn, dass man den Ichneumon oder die Pharaonsmaus anbetete, ein Raubthier, welches die Eier des Krokodils verzehrte, ferner den Ibis, einen reiherartigen Sumpfvogel, dem man die Vertilgung giftiger Schlangen zuschrieb, den Stier, den Bock, die Jagdwaffen, Bogen und Pfeil, alle Mittel, welche dem Hunger vorzubeugen geeignet waren. Noch heutzutag leben in vielen Ländern, wie im hohen Norden Europa s, so in Afrika, Amerika, Australien und auf den Inseln der Südsee eine Menge Völkerschaften, die fast nichts Anderes für heilig und göttlich erachten, als dergleichen äusserliehe Gegenstände, Organismen und allerlei oft mit roher Kunst geformte Dinge von plumper Gestalt. Ein solches Objekt der Anbetung heisst ein Fetisch, der ganze Dienst selbst Fetischismus. Eine eigentliche Vielgötterei lässt sich darunter nicht verstehen, da auf dieser Stufe der Erkenntniss an die Festsetzung eines bestimmten Gottes oder an mehrere Götter noch nicht gedacht wurde, sondern blos an etwas Uebermenschliches, vor welchem man Schauer empfand, Sehen, Angst, Ehrfurcht. In diesen Regungen der Seele möchten wir, ohne Zweifel mit Recht, das früheste Aufdämmern der Ahnung sehen, dass es ausserhalb der Menschen gleichsam e.twas Unendliches gebe, das sich dem endlichen Geist als unbegreiflich aufdringe. Also würde im besten Sinne die Fetischverehrung den allerersten Anlauf zu einer Religion bezeichnen. Freilich verbirgt sich dahinter auch der gleichzeitige Ursprung des Glaubens an Zauberei, Hexerei und Geisterseherei; was sehr entschuldbar und durchaus nicht auffällig ist. Denn die Menschengeschöpfe jener weit entlegenen Vorzeit waren mit der Natur noch so wenig vertraut, dass es ihnen in den meisten Fällen, zuerst wohl überall, an einer jeglichen Erklärung dessen gebrechen musste, was in ihren Augen wunderbar schien, eigentlich aber gesetzlich und ganz einfach zugegangen war. An das Kindesalter ihrer Bildung dürfen wir keine sonderlichen Anforderungen stellen, noch weniger wäre die Meinung derer begründet, welche ohne Bedenken den kalten Ausspruch wagten: die heutigen Völkerschaften und wildlebenden Horden, die jenem Glauben an die Fetische bis auf diese Stunde ergeben sind, bewiesen damit ihre gänzliche Unfähigkeit zur Kultur. Das hiesse diesen armen Barbaren schweres Unrecht thun. Sie verdienen kein härteres Urtheil, als dass wir sagen, sie seien auf den frühesten Anfängen der Menschenbildung zurückgeblieben, während es sogar zweifelhaft erscheine, ob das Klima der Region, worin sie leben, hier die Hitze, dort der Frost, ihnen je gestatten werde über ihre geistig tiefen Zustände hinauszugelangen. Das können wir vom allgemeinen Standpunkt der Menschheit aus bedauern. Dagegen nicht bedauernswerth ist es, sondern bitter und niederschlagend, wenn wir wahrnehmen, dass selbst innerhalb der gesellschaftlichen Kreise, die einen achtungswerthen Grad der Civilisation errungen zu haben sich brüsten, noch immer eine Masse Personen vorhanden sind, die sich die Existenz übernatürlicher Einwirkungen nicht ausreden lassen, an Geistererscheinungen glauben, an Geheimnisse der Zauberei und an die Schreckgestalten von Gespenstern. Keine Belehrung fruchtet bei dieser Gattung von Menschen, im tiefsten Innern taucht der alte Wahn immer wieder auf und pflanzt sich, wie wir unten sehen werden, von Generation zu Generation fort. Denn die ihnen gebotene Aufklärung erachten sie entweder nicht für stichhaltig, oder sie kommen bei jedem neuen Anlass, gegen ihre bessere Ueberzeugung und mit Kopfschütteln, auf ihre alte Befangenheit zurück. Das geschieht bald harmlos und ohne Schaden, bald zum Nachtheil jener geistigen Entwicklung, deren Zielpunkte fort und fort angestrebt werden müssen, damit man den Feinden des Menschengeschlechts, den Finsterlingen, endlich das Mittel raube, die menschliche Schwäche zu benutzen, die Unwissenheit zu verewigen und das geistige Leben auf der Erde zu ersticken.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874

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