Einleitung I: Der Gottesdienst

Einleitung

Einleitung I: Der Gottesdienst

Einleitung

Diejenigen Völker, die so glücklich waren, zur Kultur sich aufzurichten, warfen den armseligen Fetischdienst ab. Die Weise ihres Daseins gestaltete sich tröstlicher, ihre Augen lernten schärfer sehen, und es gelang ihnen, durch aufmerksamere Beobachtung der um sie her ausgebreiteten Natur einen höheren Begriff dessen, was göttlich sein möge, zu fassen. Man fing an, ein Wesen zu suchen, von welchem Alles ausgehe und regiert werde. Wir müssen dieses Suchen der Menschen das Umschauen nach einem Gottesbegriff nennen. War diese Neigung eine gesunde oder thörichte? Giebt es, wie so Manche neuerdings zweifelnd fragen, einen Gott? Darauf ersparen wir uns nach dem im ersten Abschnitt Gesagten die Antwort. Hier genügt es zu wiederholen, dass die Neigung von jeher vorhanden gewesen ist: ein Umstand, der in der Schätzung des achtsamen Forschers eine schwerwiegende Bedeutung hat, die ihn stets verhindern wird, leichtfertig über diese als uralt erwiesene Richtung hinwegzuhuschen. Wenn der moderne Hochmuth mit Gelassenheit das Wort hinwirft, die Menschen wären von Anfang an in diesem Punkte irre umhergetappt, so besagte das offenbar, den Menschen einen angeborenen Irrthum zuzuerkennen, welcher jetzt klar zu Tage liege, einen schon in der Urzelle ihnen mitgegebenen falschen Trieb. Die Erfahrung lehrt uns allerdings, dass es oft lange Zeit vergeblich ist, einen tiefeingerosteten Wahnglauben aus den kranken Köpfen der Thoren wegzuschaffen; gesetzt also, für einen solchen Wahn wäre das Suchen der Menschen nach einem Gott zu erachten, so müssten doch die Streiter, die solches jetzt behaupten, siegreiche Gründe mancher Art in das Feld führen können, um einem Jeden zu beweisen, dass ein sonderbarer Weltirrthum bisher obgewaltet habe. Denn das Sehnen nach einem Gott und den Glauben an einen solchen, sagen sie, sei ein Zeichen blosser menschlicher Ohnmacht und Angst, nicht aber vernünftiger Einsicht.

Allein an so wuchtigen Gründen gebricht es durchaus. Die Forschungen sowohl als die darauf gebauten Schlüsse entbehren des Haltes, wie schon oben bemerkt worden ist; jene sind bei weitem noch unzulänglich, diese daher luftig, weil sie aus unzulänglichem Wissen gezogen worden. Nicht besser steht es um die Erfahrung. Auf diese nämlich beruft man sich ebenfalls, auf die Mittheilung, es glaubten keineswegs alle Menschen der Erde an einen Gott, auch heutzutag noch nicht; das Be-dürfniss also, irgend einen Gott sich vorzustellen, sei nicht durchweg und allgemein vorhanden. Auch diese Folgerung ist ebenso schief, wie die oben erwähnte, welche den Scherz Virchow's betraf, dass eine Menge Menschen ohne einen Funken von Gewissen wären. Denn die Ausnahme zur Kegel erheben zu wollen, ist Blödsinn von ähnlicher Art, als wenn wir behaupten wollten, die Erde sei kalt, weil sie an gewissen Flecken kalt ist. Freilich treffen wir noch heute mit mancherlei rohen Völkerschaften zusammen, die kein Wissen haben von einem Gott, einem sogenannten Schöpfer der Welt, einem höchsten Wesen, das sie verehren möchten. Aber was kommt auf diese Thatsache an? Nicht das mindeste! Wir haben schon oben gesehen, dass in mehreren Erdgegenden sich noch einzelne Horden befinden, die gleichsam im frühen Naturstande verkümmernd fortleben, so dass sie seither die unterste Stufe menschenwürdiger Bildung in keinem Punkte überschritten haben. Unter diesen trifft man denn auch solche Stämme, bei welchen der Begriff von einem Gott noch nicht lebendig geworden, oder doch zu keiner Geltung gekommen ist. Nichtsdestoweniger wäre es eine Verwegenheit, diesen Klassen von Menschen schlechthin die Befähigung abzusprechen, einen Gottgedanken in ihrem Innern zu spüren, sobald sie zu einer glücklicheren Lebensweise sich aufraffen könnten. Blosse thierische Regungen ihnen zuzutrauen, wäre eine Herabsetzung derselben ohne irgend einen vernünftigen Grund. Vergessen wir nicht, dass einst, nach ihrem Hervorgehen aus der Zelle, unstreitig alle Menschen so elend und armselig vegetirten; wobei nicht zu läugnen ist, dass von Anfang an edlere Arten existirt haben mögen, die um so früher und schneller aus der Thierheit erstanden, je günstiger ihre äussere Umgebung war, ein milder Himmel mit gesundem Klima, ein fruchtbares Stück Festland oder eine gesegnete Insel, ein wohlgesicherter Wall, kurz, ein Erdfleck, wo sie alle jene Erfordernisse, die zur Zeit des Aufblühens ihnen den Kampf um das Dasein erleichtern konnten, reichlich vorfanden.

Die Thiere irgend einer Menschenart gleichzustellen, hat es nie ein Recht gegeben, und wird es nie eines geben! Sehen wir die Affen an, unsere vorgeblichen Seitenverwandten. Die Geschichte seit etwa sechstausend Jahren hat uns keine Sylbe davon gemeldet, dass diese Thiere in ihrer vollkommensten Art einmal zu irgend einer Zeit eine Spur verrathen hätten, ein leises Anzeichen, dass sie mehr als Thiere wären und einen Fortschritt anbahnten, der auf Weiteres als auf die Erhaltung ihres Leibes sich erstrecke. Und hätten die Affen innerhalb dieses Zeitraums, der kein so ganz kurzer ist, irgend eine geistige Bewegung offenbart, die einen Unterschied von ihrem heutigen Charakter aufzeigte, so müssten wir nicht allein davon gehört haben, sondern auch ohne allen Zweifel noch heute, sei's jährlich, sei's täglich, als Augenzeugen bemerken können, dass diese thierischen Organismen einen wenn auch noch so momentanen Anlauf nähmen, um aus ihrer bisherigen, stumpfen Sphäre einen einzigen, wenigstens lilliputischen Schritt hinauszuthun. Die Umwandlung der Formen und ihre Weiterzeugung müsste sich doch, wenn Darwin und Häckel so ganz Recht hätten, in die Gegenwart hinein ein Bischen fortsetzen und nicht seit der Epoche, wohin Mythologie und Geschichte reicht, durch die gesammte Affenwelt in's Stocken gerathen sein! Sicher steht es, dass Niemand das Experiment machen wird, den Affen einen Gottesgedanken anzuerziehen; sicher steht es, dass kein vernünftiger Mensch, der die Affengeschichte durchgeht, auf den Einfall gerathen wird, einen Affen und einen Buschmann gleichzeitig in die Lehre zu nehmen, mit der Zuversicht, der erstere werde durch nachhaltige Unterweisung dem letztern mindestens bis zu einem gewissen Grade gleichkommen. Und man unterschätze die Buschmänner nicht über alle Massen. Denn es wird uns über sie, wie auch über ihre Nachbarn, die Hottentotten, zuverlässig berichtet, dass diese rohen Seelen Bekanntschaft mit Zauberei haben, also doch an das Vorhandensein ausserordentlicher Einflüsse denken, welche dem Fetischglauben verwandt sind. Ein ernsthaftes Gottsuchen aber darf von den Buschmännern Niemand erwarten; das Geschlecht derselben besitzt keine festen Niederlassungen, sondern es streift rottenweise in ebenso unfruchtbaren als unkultivirten Landstrichen umher, und wie sollten dergleichen Barbaren auf den Gedanken an einen göttlichen Lenker verfallen, da sie noch nicht einmal so weit sind, dass sie einen Häuptling aus ihrer Mitte oder ein gesellschaftliches Oberhaupt über sich gesetzt haben, um irgend einer Leitung zu gehorchen? Ob sie immer in dieser jämmerlichen Lage verharren werden, ist ungewiss; aussterben aber sammt und sonders werden sie schwerlich, damit ein später Naturforscher sagen könnte, in ihnen sei eine Unterart der Menschenart erloschen.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874

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