Einleitung I: Die Affen und die Menschen

Einleitung

Einleitung I: Die Affen und die Menschen

Einleitung

Und da sind wir denn bei der Behauptung angelangt, dass die Menschen mit den Affen verwandt wären, und nicht allein verwandt, sondern aus den Affen, als ihren Vorvätern, entsprossen wären. So schlechtweg drücken sich die Forscher, an ihrer Spitze Darwin und Häckel, neuerdings zwar nicht mehr aus; aber sie glauben einen plausibelern Weg einzuschlagen, wenn sie die Hypothese aussprechen, dass die Menschen nicht unmittelbar von den Affen abstammten, sondern nur einem Seiten-zweige der äffischen Aeste angehörten und allerdings den vollkommensten Schöss-ling derselben ausmachten. Es habe nämlich ehemals eine Zwischenart der heutigen Affen und Menschen gegeben; dieses zwischen beiden Arten vermittelnde Zwischenglied, besser als der Affe und geringer als der Mensch, sei indessen ausgestorben, untergegangen, kurz, nicht mehr vorhanden. Folglich nähmen wir heutzutag eine Lücke in der Entwicklung der obersten Thierorganismen wahr; eine solche Lücke müsse unbedingt statuirt werden, weil wir sonst in der Entwicklung einen Sprung vorfänden, ein Sprung aber im Gange der Natur nicht statuirt werden dürfe. Was richtig sein würde, wenn es nicht wahrscheinlicher wäre, dass besagter Sprung kein Sprung ist, sobald wir, einem angeblich verlorenen Zwischengliede gegenüber, zu jener einfachen Annähme einer Vielzahl von Urzellen greifen, wodurch eine jegliche Eigenart in ihrem selbstständigen Charakter geschützt wird, wie auch in ihrer besonderen Entfaltung. Wir brauchen dann, wenn das Menschengeschlecht unter die Eigenarten gehört, das Zwischenglied nicht mehr, um dem Vorwurfe zu entgehen, dass wir einen Sprung für möglich hielten. In den Urzellen lag gewisslich schon die verschiedene Begabung der verschiedenen Organismen; also in der Urzelle des Menschen eine Begabung, welche den Menschen von dem Affen gleich Anfangs getrennt hat, eine bessere Ausstattung von Seiten der Natur. Auf diese so glaubliche Voraussetzung gestützt, läugnen wir, dass jemals ein Ueber-gang der Affengeschlechter in Menschengeschlechter auf wahrscheinliche und natürliche Weise stattgefunden habe, oder dass ein solcher überhaupt habe stattfinden müssen. Wir wollen übrigens nicht fragen, wer das vermuthete Affenzwischenglied ausgerottet haben solle, ob das heutige Affengeschlecht, oder die einst mit den Affen und andern Thieren in Kampf verwickelten Menschenfäuste. Beides ist nicht im Entferntesten glaubhaft, nach dem Gesagten auch gleichgültig. Wir wollen nebenbei einräumen, dass eine gewisse Verwandtschaft zwischen Affen und Menschen bestehe, aber nur in einem einzigen Punkte, im Körper. Denn was den Geist anlangt, sind beide Arten himmelweit verschieden: der Affe steht, dem Menschen gegenüber, als ein blosser Schatten desselben da. Gewiss ist, von den kleinsten wie von den grössten Geschöpfen, auch von dem Affen, den man ihm am nächsten zu setzen wagt, scheidet sich der Mensch durch seine Begabung und durch das Bewusstsein dessen, was er ist, unermesslich ab; die Trennung ist so gross, dass wir sagen müssen: zwischen ihm und der gesammten Thierwelt findet sich eine unübersteigbare Scheidewand gezogen, die ihm gewordene Leuchte seines Innern, die höchste Zierde, die ihn vor jedem andern Organismus auszeichnet. Mögen immerhin jene Affenzwischenglieder, wenn es wirklich welche gegeben haben sollte, ihrerseits ausgerüstet gewesen sein mit einer grösseren geistigen Fähigkeit, als sie die gescheidtesten Affengeschlechter bis auf den heutigen Tag offenbaren, von dem Menschen würden sie immer so ungeheuer weit abgestanden haben, dass es äusserst unbesonnen wäre, in ihnen Zwischenglieder zu erkennen, die genützt hätten, jene Lücke in geistiger Begabung auszufüllen und durch Fortzeugung einen sanften Uebergang zur Menschenseele zu bewirken. Selbst den Buschmännern und russischen Waldmenschen können sie an Talent nicht geglichen haben; denn die letztern werden wir doch für wirkliche Menschen halten müssen. Auch sie weisen zu viel Menschliches auf, als dass wir glauben könnten, eine Thierart habe jemals gleiche Vorzüge besessen. Doch auch sonst ist die Dazwischenschiebung höherer Affengattungen eine sehr bedenkliche Sache. Denn erstens würden dergleichen Affen, bei den ihnen zugeschriebenen reichen Gaben, wodurch sie sich dem Menschen genähert hätten, dem Menschen viel gefährlicher gewesen sein als alle übrigen wilden Thiere, die von ihm bewältigt wurden und um seiner Selbsterhaltung willen bewältigt werden mussten: wie leicht konnte es in diesem Falle geschehen, dass der Mensch selbst den furchtbaren Affenvätern ganz und gar unterlag. Zweitens, und das ist viel bedeutsamer, sehen wir uns verwundert um, dass sich von gedachten Affen heutzutag nirgends auch nur die geringste Spur vorfindet. Wie kommt es, dass von ihnen nicht eine Anzahl Exemplare zur Gegenwart gerettet worden sind? Oder sollten wir es für möglich halten, dass sie von ihren ungleich reicher begabten Abkömmlingen, den Menschenkindern, sammt der Wurzel undankbar ausgerottet worden seien, als es den Kampf um das Dasein galt? Eine so vollständige Vertilgung eines angeblich so talentvollen Organismus, der auf so hoher Stufe gestanden hätte, ist durchaus unwahrscheinlich. Wenigstens etliche Subjekte dieser geistigen Ahnenschaft mussten doch irgendwo auf einem Winkel der weiten Erde übrig geblieben sein. Denn so viel Geist lässt sich nimmermehr aus der Welt fortschaffen. Das sehen wir an den Menschen bestätigt, die ein unausrottbares Geschlecht sind, wie schon Homer sagt; und an Kämpfen hat es ihnen, wie wir weiter unten finden werden, wahrlich nicht gemangelt.

Was indessen auch den Fachkenner wie dem Laien an dem Darwin-Häckelschen Systeme der Organismenentwicklung ungenügend erscheinen mag (erklärt sich doch auch unter anderm das Vorhandensein der zahllosen Infusorien daraus wohl kaum), anerkannt muss allseitig ohne Widerrede werden, dass auf diesem Gebiete durch jene beiden Forscher ein durchgreifender Fortschritt geschaffen und ein Ergebniss gewonnen worden ist, dessen Einflüsse auf die wahre Erkenntniss der Dinge vorläufig noch unberechenbar sind. Die allgemeine Grundlage der neuen Hypothese steht fest, dagegen treten die Gespinnste vorausgegangener und eine Zeitlang geglaubter Vermuthungen für immer aus ihrer bisherigen Geltung zurück. Was die Erfahrung hin und her tappend anstrebte, ist jetzt in der Hauptsache festgestellt, und was die Philosophie träumend zu ergänzen suchte, zerfliesst in Nebel und hat den Halt verloren, so dass sie, um wieder Fuss zu fassen, in die Lage gesetzt ist, eine andere Wendung zu nehmen. Vor allem Andern, um es wiederholt zu sagen, ist es klar geworden, dass erstens die thierischen Organismen und ebenso die menschlichen ohne Unterschied und Ausnahme in eine undenkliche Vorzeit zurückreichen, und zweitens, dass sie sammt und sonders erst durch unzählige Epochen der Zeugung, Mischung und Fortbildung so geartet sind, wie wir sie heute vor uns erblicken, nach Körperform, Charakter, Lebensentfaltung, Geist. Der Glaube, dass der Schöpfer des Weltalls zeitweise nach ganz besonderer Absicht in dieses Gebiet eingegriffen habe, ist veraltet und für jeden besonnenen Denker augenscheinlich beseitigt; eigentliche neue Schöpfungen, solche, die durch eine höhere Hand von frischem gemacht worden wären, können niemals und in keiner Periode sich zugetragen' haben. Alles auf dem Erdenrund ist von Anfang an seinen gesetzmässigen Gang gegangen, und zwar gerade so, wie es sicher und gewiss weiter gehen wird, so viel oder so wenig vor unsern Blicken sich zu verändern scheint oder in Zukunft sich verändert zeigen mag. Die Entwicklung der Dinge schreitet auf vorgeschriebenen Bahnen fort.

Das Licht jener Forschung nun, das auf den Ursprung der Menschen gefallen ist, dehnt sich auch über das Reich der Mythologie aus. Freilich, ein bestimmer Termin, auf welchen dieser Ursprung unseres Geschlechts zu verlegen sei, ist, wie schon oben gesagt worden, weder aufgefunden, noch dem Vermuthen nach jemals auffindbar. Die Zeit ist hierin für uns eine Ewigkeit. Aber eine strenge Fixirung des Momentes, wo die Menschen wurden, ist nicht gerade nothwendig; wir haben die sicherste Ueberzeugung erlangt, dass es keineswegs ein Zeitraum von etlichen Jahrtausenden ist, seit welchem dieselben geboren worden sind und über den festen Boden sich verbreitet haben, sondern dass sie sammt allen thierischen Organismen in jene unabsehbare Urzeit hineingehören, wo es zuerst möglich war, dass sich ein selbstständiges Leben in freien Formen entwickelte. Sagen wir also, die Menschen sind so alt wie die Welt, wenn wir uns die Erde als eine Welt vorstellen dürfen. Mit den ersten Geschöpfen haben auch sie ihren Ursprung empfangen und alsdann die Stufen ihrei Entwicklung angetreten; wir ahnen die Schritte, die sie machten, aber kennen sie nicht, sondern sehen die Menschen nur vor uns, wie sie seit dem Eintritt in die Geschichte bis heute sich darstellen, ohne dass wir angeben können, wie sie das geworden, was sie sind, und nicht geworden, was sie vielleicht schon längst sein sollten. Das Ziel, welches, wie es scheint, vor ihnen liegt, lassen wir unberührt. Denn wir haben lediglich die frühe Vergangenheit unsers Geschlechts zu betrachten. Und selbst auf diese können wir nur vermuthungs-weise hindeuten, allgemeine Umrisse über die Entfaltung des Menschen zeichnend, soweit es uns an diesem Ort angeht.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874

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