Einleitung I: Schelling und seine Philosophie der Mythologie

Einleitung

Einleitung I: Schelling und seine Philosophie der Mythologie

Einleitung

Von den Erscheinungen der Natur also angeregt, waren die Menschen in dem Prozesse ihrer geistigen Entwicklung bis zu dem Sterndienste vorgedrungen, der lange eine gewaltige Rolle bei den Zendvölkern, Persern, Phöniziern und Aegyptern spielte, auch nach dem glücklichen Arabien sich verpflanzte, wo ein Volk mit Namen Sabäer wohnte. Von diesem soll, der gewöhnlichen Annahme nach, die Benennung Sabäismus herrühren, die man dem Sterndienste beigelegt hat. Die Sabäer waren allerdings auch Sternverehrer, aber umgekehrt erhielten sie wohl von diesem Kultus erst ihren Namen, wie Schelling dargethan hat. Zunächst weist dieser Philosoph auf das hebräische und arabische Wort Zaba hin. Das Wort Zaba, sagt er, bedeutet das Heer (exercitus), insbesondere das himmlische Heer, nnd davon komme auch der alttestamentliche Name Zebaoth, Herr der Heerschaaren, her. Doch von letzterer Anführung können wir an dieser Stelle keinen Gebrauch machen. Begnügen wir uns mit dem, was Schelling hinzufügt: Von dem Wort Zaba heisst im Arabischen ein Sternverehrer Zabi oder nach der gelinderen Aussprache Sabi, die Sternverehrung selbst Zabiah (also Sabiah); woraus erhellt, dass die richtige Form des Wortes Zabiismus, zusammengezogen Zabismus ist. Also sei die bekannte und angenommene Form Sabeismus (Sabäismus) nicht ganz richtig. Genug, Schelling pflegt die Sternverehrung Zabismus zu nennen, aber er thut diess hauptsächlich desshalb, um einen einfachen Ausdruck zu haben für die Bezeichnung der Art und Weise, wie er selbst die Entstehung und Bedeutung des Sterndienstes fasst. Einen Ausdruck wünschte er, der sofort auf den Unterschied seiner eigenen philosophischen Beurtheilung von der gewöhnlichen, die man seither hatte, aufmerksam mache.

Der berühmte Philosoph nämlich holt in diesem Gebiete anders aus, als es vor ihm geschehen war, und im Obigen von uns geschehen ist: er verwirft den Ursprung göttlicher Begriffe aus der sinnlichen Naturanschauung. Dem geistigen Prozess, den die Menschen durchmachten, giebt er einen, wie er offenbar meint, tieferen Hintergrund. Einen Gott nimmt er an, der ausser der Natur ist, in der Natur und durch die Natur seine Urmacht zur Geltung bringt. So dringt Gott denn auch in den Menschen und durch die Menschen auf Erkenntniss seines Selbst hin. Gott ist erst ohne die Natur und wird durch die Natur, was er ist, und theilt sich schaffend mit, immer weiter vorschreitend, um in unserem Bewusstsein klarer und heller hervorzutreten. Schelling will durch sein philosophisches System, wenn ich recht sehe, aus der Mythologie den Beweis führen, dass Gott seine Hand unmittelbar und ununterbrochen über die Menschen halte und in ihr Bewusstsein übergehe: was successive der Fall sei. Auf diesem Wege gelangt er denn auch, wie es wohl sein Hauptzweck war, zur Erklärung der Offenbarung Gottes im Christenthum.

Diesem System zufolge konnte es nicht fehlen, dass Schelling die Sternverehrung, den Zabismus, wie er für Sabäismus sagt, nach Ursprung und Verlauf anders zeichnet. Seine Sätze lauten folgendermassen. Zuvörderst erklärt er den Zabismus für die älteste Religion, die er auch eine astrale Religion nennt; eine begleitende Erscheinung derselben sei das Nomadenleben gewesen (ein früheres Leben der Menschen kennt er also nicht), welches in der ersten Menschheit stattgefunden habe. Und diese erste Menschheit betrachtet er als eine unzertrennte, die noch nicht zum Völkerleben übergegangen, und deren natürlicher Aufenthalt die Wüste gewesen, worin sie, vor dem Eintritt in die Geschichte, unstät, umherschweifend, ohne feste bleibende Wohnsitze, also nomadisch umhergeirrt wären, sich selbst fremd und zugleich Fremdlinge auf der Erde, heimathlos, mit einem nur beweglichen Eigenthum, ihrer Heerde. Denn, sagt er merkwürdig genug, für das Bewusstsein gab es noch gar keine Aussenwelt, die Natur war finden Menschen wie gar nicht vorhanden; wie soll man sich das vorstellen? Wie konnte es Nomaden ohne ein Auge für die Natur geben? Setzen wir hinzu, dass Schelling ausdrücklich bemerkt, der mythologische Prozess sei ein allgemeiner (!) gewesen, von dem die ganze Menschheit ergriffen war; wesshalb auch die Offenbarung ihre Sprache (?) und zum Theil selbst den Inhalt ihrer Lehre den verschiedenen Stufen und Momenten jenes Prozesses gleichsam hätte annähern müssen, sintemal alle Offenbarung nur eine successive, nicht auf einmal enthüllende sei. Also die ganze damals noch ungetrennte Menschheit, glaubt er, soll an diesem Prozess betheiligt gewesen sein, der allgemein durchgegriffen habe und dergestalt erfolgt sei, dass er durchzugreifen vermochte. Denn hören wir weiter, er sagt: der Zabismus beruhte nicht auf einer blos subjektiven Vorstellung, sondern auf einer realen Gewalt, der das Bewusstsein unterworfen war; diese Gewalt habe nicht blos die Vorstellung, sondern ebenso wohl das Leben der ältesten Menschheit bestimmt und beherrscht, und dadurch (!) sei die ruhelose Bewegung in dem äusseren Leben derselben hervorgebracht worden, die nomadische Wanderung ohne Haus und Herd. So hätten wir denn zu denken, dass Gott sich im Bewusstsein der Menschen gewaltsam, wenn auch allmälig, zur Erkenntniss durchgearbeitet habe, jeden Gedanken hervorrufend, wie zugleich Schritt und Tritt bedingend. Wahrhaftig, ein sonderbares Völkchen mit einem sonderbaren Gott über ihm!

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Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874

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