Ise

Ise

Japan. Mythologie

Der berühmteste Wallfahrtsort des Kami-Dienstes, das Mekka der Sintoo-Religion, im Bezirke Wataraje. Den ersten Tempel der Sonnengottheit hatte Zin mu in seinem Dairi zu Kasibara errichtet, und er blieb ihr als irdischer Thron geweiht, bis unter der Regierung des Sui Sin, fünf Jahre v. Chr., die Halle in Ise gestiftet und der Thron der Sonnengottheit dahin verlegt wurde. Imatohime und Tojonuki, zwei Edelfrauen des Hofes, feierten nämlich aus Auftrag dieses Mikado der Sonnengottheit Reinigungsfeste; an dem Flüsschen Isezu wusch Jamato ihr Kleid und bauete an diesem Orte die Halle, welche jetzt Nai gu (die mittlere Halle) genannt wird. Im zehnten Monat des folgenden Jahres (4 Jahre v. Chr.) wurde der Sitz der Sonnengottheit förmlich dahin verlegt, und ein hoher Staatsbeamter, Oho Kasima, als Aufseher der Festlichkeiten dahin versetzt. In dieser berühmten Tempelhalle befanden sich mehrere kleine Capellen, welche alle einzelnen Heiligen oder Göttern geweiht sind, und mehr oder minder Antheil an den zahlreichen Wallfahrten haben, die dorthin gemacht werden. Aus allen Orten im Reiche Japan ziehen zahlreiche Schaaren von Pilgern dahin, und es ist eigentlich Pflicht jedes Japaners, wenigstens Einmal in seinem Leben dahin zu wandeln. Zuerst muss er zu diesem Behuf gewisse Reinigungsgebräuche beobachten dann in dem Tempel seines Schutzpatrons sich Hülfe von ihm erflehen. In einem einfachen Pilgergewande, das Haupt mit einem Strohhut bedeckt, den Wanderstab in der Hand, im Gürtel aber einen Löffel zum Wasserschöpfen tragend, tritt er, von Freunden und Verwandten mit Reisebedürfnissen versehen, seine Reise an, nachdem er vorher seine Wohnung mit dem Unreines abwendenden Seile verwahrt hat. Ueber seine Reinheit sorgfältig wachend, findet er überall Herbergen, die ihm durch besondere Aufschriften willkommene Aufnahme verkünden. Am Wallfahrtsorte angelangt, besucht er meistens unter dem Geleite eines Kamfpriesters die Hallen, verrichtet seine religiöse Pflicht, und erhält vom Oberpriester einen Ablassbrief, welcher heilig gehalten wird, und ein alles Glück bescherender Talisman ist.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874