Mariyammai

Mariyammai

Eine Göttin, nur von den niedern Kasten der Indier verehrt. Sie ist besonders durch ein Fest ausgezeichnet, welches in ihrem Cultus gefeiert wird, und das zu den grässlichsten gehört, welche die Braminenkaste erfand, um die armen Sklaven für ihre Sünden büssen zu lassen, oder die Sünden reicher Leute für Geld zu übernehmen. Diejenigen, welche an ihrem Ehrentag der Göttin opfern wollen, unterwerfen sich einige Zeit vorher einem strengen Fasten; nackt, nur mit Blumenguirlanden geschmückt, begeben sie sich auf den Schauplatz ihrer Marter, auf welchem man mehrere, vierzig Fuss hohe, starke Bambusstangen errichtet sieht, die nahe an ihrem Gipfel Querbalken tragen, welche im Kreise um die aufrecht stehenden beweglich sind. Am Ende eines solchen Querbalkens hängt ein Paar starker, eiserner Haken, der Büsser stellt sich darunter mit der hohlen Hand schlägt ihm sein Gehülfe sehr stark in die Mitte des Rückens, so dass wie mittelst eines Schröpfkopfes das Fleisch aufschwillt, welches nun zusammengefasst wird, und durch das die Haken mit Gewalt getrieben werden; eine um den Leib gelegte Binde, die man an den Haken befestigt, sichert den Büssenden vor dem Ausreissen des Fleisches und dem Niederstürzen. Nun wird das andere Ende der Querstange herabgezogen, wodurch jener in die Höhe steigt, dreissig bis vierzig Fuss über den Häuptern schwebt, und sich weit im Kreise herumschwingen lässt; er hält dabei häufig Schild und Schwert in Händen, um den fechtenden Gama vorzustellen, gewöhnlich aber wirft er Blumen hernieder, welche von den Umstehenden begierig aufgenommen und als Talismane gegen böse Genien aufbewahrt werden. Braminen, welche die Göttin Mariyammai verachten, sind nie bei diesem Feste zugegen, wohl aber sonst alles Volk, selbst die reichsten Leute, welche für ihr Geld durch solche Unglückliche ihre Sünden abbüssen lassen. Nach einer Viertelstunde wird der Märtyrer herabgenommen, das glückliche Klima heilt ihn bald, und nur selten lässt die Marter böse Folgen nach.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874