Becher

Becher

In Aegypten, Medien, Persien und Syrien ein Symbol der Nahrung für Seele und Leib, so wie des physischen Werdens, welche Bedeutung wahrscheinlich von dem Becken der Quellen, welche als erzeugende, nährende und Ueberfluss spendende Gottheiten betrachtet wurden, abzuleiten ist. Man findet den Becher als Attribut mehrerer Gottheiten; so wird er unter den Spielsachen des Bacchus genannt und gehört auch besonders dem ägyptischen Hermes, dem Freunde des Osiris, dem Spender der Weisheit, zu. Das spätere Aegypten, das gräcisirte, nahm den Becher gleichfalls als Symbol, und zwar in doppelter Bedeutung, auf; der höchste Demiurg mischte nämlich in einem Becher die Stoffe, aus denen die Weltseele und die menschliche Seele bestehen sollte, in einem andern aber die gröberen der Sinnenwelt, die zur Sinnlichkeit und zum niedern Erdenleben führen, daher die alexandrinische Philosophen-Schule von einem doppelten Becher spricht, den die Seelen für ihre Wanderung auf der Erde mit erhalten, davon der eine erhebt, der andere aber niederzieht zum Thierischen. In Aegypten wurde aus Bechern wahrgesagt, indem man Wasser hinein goss und die Figuren betrachtete, welche hineinfallende Lichtstrahlen bildeten, oder indem man unter feierlichen Beschwörungen der guten und der bösen Götter Goldplättchen oder edle Steine, mit Charakteren bezeichnet, in den mit Wasser gefüllten Becher warf, und nun entweder in Worten oder in Zeichen Antwort auf die vorgelegten Fragen erhielt, oder auch durch die Figuren, welche in die Flüssigkeit gegossenes, siedendes Wachs machte (daher stammt unser Bleigiessen in der Dreikönigsnacht). Von grosser Heiligkeit ist der Becher, welchen der König Dschemschid bei Gründung der Götterstadt Isthakar (Palmyra) fand; derselbe hiess Giam (Dschiam), war aus einem einzigen Türkis und war gefüllt mit dem kostbarsten Unsterblichkeitsund Weisheits-Tranke. Die Astronomie hat den Becher des Apollo verewigt, mit welchem er seinen Raben aussandte, um Wasser zu holen; der Rabe brachte keines und ward desshalb aus einem weissen in einen schwarzen verwandelt; er und der Becher stehen auf der Wasserschlange, der Becher am südlichen Himmel, westlich von der Jungfrau, nordwestlich vom Raben, ungefähr 170 grader Aufsteigung und 15 südlicher Abweichung. Er enthält 121 Sterne, worunter jedoch nur acht der vierten Grösse.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874