Einleitung I: Der Gott der Israeliten

Einleitung

Einleitung I: Der Gott der Israeliten

Einleitung

Zu verschiedenen Zeiten wechselten modenartig die getroffenen Veranstaltungen, die Bildungsstufe der einzelnen Völker anzeigend, eine hohe oder niedere, eine aufsteigende oder zur Verwilderung zurückkehrende. Meistentheils aber gingen, wie es scheint, unsinnige Bestimmungen voraus, ganz abgesehen von den Mitteln, welche die Herrschsucht der Priester zur Unterjochung der armen Menschheit ausbrütete; es dauerte lange, bis hier und da ein Staatsthum sich durch angemessene Entfaltung des religiösen Kultus hervorthat. Es scheint fast unmöglich, die Wechselwirkung der Menschenzüge, die hier sich niederliessen oder dorthin wanderten, heutzutag zu erforschen, um im Einzelnen zu zeigen, was die eine Horde von der andern annahm, was man mitbrachte oder vorfand. Unter etlichen Hauptschichten der Völker stellten sich endlich besondere und doch in manchen Stücken ähnliche mythologische Systeme zusammen; es sind ihrer nur wenige, welche denkwürdige Erscheinungen bieten, so dass sie ausgebildete Kreise der Mythologie genannt werden können. Zu diesen gehören vor allen andern die Religionen der Inder, Aegypter, Perser, Griechen, Römer und Altgermanen, sammt und sonders abgeschlossene Vielgöttersysteme. Der Begriff eines alleinigen im Himmel waltenden Gottes dagegen, die Verehrung eines solchen oder die Annahme eines höchsten Wesens, das allein Alles geschaffen habe und allein zugleich beherrsche, zeigt sich mit bestimmten Umrissen nur bei dem Geschlecht der Israeliten oder Juden. Ob Schelling diesen Gott, der einst, wie es heisst. mit den Urvätern des letztern Volkes persönlich verkehrt hat, aus der Himmelsverehrung der Sterndienstzeit ableitet oder nicht, mag dahingestellt sein: so viel ist bis heute ausgemacht, dass eine gleiche Gottanschauung, wie sie durch die Israeliten gegangen und bewahrt worden istv in den Ueberlieferungen keines zweiten Volkes gefunden wird, weder was die Gesammtauffassung, noch insbesondere die Alleinigkeit des Gottwesens betrifft. Den Israeliten muss die Menschheit dankbar das Verdienst zuerkennen, den ersten einfachsten Begriff der Gottheit gewonnen und zu den folgenden Geschlechtern übergeleitet zu haben, woher sie ihn auch geschöpft haben mochten. Von den Ahnungen anderer Völker in dieser grossartigen Vorstellung müssen wir absehen; denn zu einem wirklichen Kultus der göttlichen Einheit kam es bei keinem von ihnen, wenn auch Einzelne an - einen höchsten Gott dachten und ihm eine schrankenlose Machtvollkommenheit beilegten. Sie hielten immer noch Untergötter daneben hoch.

Die Entstehung der Vielgötterei zu erklären, wollen wir, wenigstens ihren frühsten Anfängen nach, auf Schelling Rücksicht nehmen. Zu dem aufgefundenen einen Gott, sagten wir, gesellte man neue hinzu. Der erste Gott, so sucht nun dieser Philosoph zu beweisen, konnte dem Bewusstsein nur als männlich erscheinen; worauf ein Uebergang eingetreten sei, der sich dem Bewusstsein nicht wohl anders habe darstellen können, als wie ein Uebergang vom Männlichen zum Weiblichen, das heisse, wie ein weiblich Werden des erst Männlichen, vermöge einer durchaus natürlichen, ja nothwendigen Vorstellung. Wir unterlassen hier anzuführen, mit welchen Ausdrücken er diesen Uebergang von Männlichkeit zu Weiblichkeit, von dem männlichen Gott zu einer weiblichen Gottheit nachgewiesen hat; wir erwähnen nur, dass er versichert, nicht er mache diese Ausdrücke, sondern die Mythologie selbst drücke sich so kühn aus. Die gewöhnliche Erklärung bringe eine künstliche, blos willkürliche, poetisirende Einkleidung (also gerade das, was wir unserem Philosophen selbst vorwerfen); kurz, er stützt sich auf die seinem System zu Grunde gelegten Sätze von einem sich materialisirenden Urgott, den wir freilich als ein sehr schwankendes Prius gefunden haben. Auf das zeugende sei das gebärende Prinzip gefolgt. Und wie äussere sich dieses? An die Stelle des himmlischen Herrschers, jenes Königs des Himmels, der im Zabismus ausschliesslich verehrt worden sei, trete jetzt die Himmelskönigin, und jener Uebergang, von welchem eben die Rede war, sei in allen Mythologien der Vorwelt dadurch bezeichnet, dass an die Stelle des himmlischen Herrschers jene weibliche Gottheit trete, die unter verschiedenen Namen als Mylitta, als Astarte, als Urania von so vielen Völkern verehrt worden. Urania sei nach dieser Ableitung nur Uranos selbst in weiblicher Gestalt, der weiblich gewordene Uranos.

Wir können hier die Erklärung dieser als nothwendig angenommenen Verwandlung (deren Nothwendigkeit wir kurz abweisen) nicht weiter verfolgen. Doch scheint es nicht unangemessen, noch anzuführen, wie Schelling die Sache im Verhältniss zu den Griechen deutet. Denn bei letztern begegnen wir einer Vorstellung, die seinen obigen Ansichten ein wenig zu Statten kommt. Die griechische Mythologie, sagt er, gehöre zwar einem viel späteren Momente, ja, dem letzten Momente der mythologischen Entwicklung an, aber sie habe darum die früheren Momente nicht weniger in sich aufgenommen, nur, wie sich verstehe, auf eigenthümliche Art. Er kommt nämlich auf die von der Entmannung des Uranos erzählte Mythe. Der Uebergang vom Männlichen zum Weiblichen, meint er denn, konnte ja auch vorgestellt werden als ein entmännlicht, entmannt Werden des zuerst ausschliesslich herrschenden Gottes. So sei der Uebergang in der hellenischen Mythologie vorgestellt, wo Uranos entmannt werde durch Kronos, der ihm in der Herrschaft folge (was einer anderweitigen Erklärung bedürfe). Hierdurch unterscheide sich also die hellenische von der asiatischen Vorstellung, welche an die Stelle des männlichen Gottes unmittelbar eine weibliche Gottheit, die Urania, setze; aber die wesentliche Identität der hellenischen Vorstellung mit der asiatischen zeige sich darin, dass die griechische Theogonie aus dem Schaum der abgeschnittenen und in's Meer geworfenen Zeugungstheile des Uranos die Aphrodite entstehen lasse, die in der That nur das hellenische Gegenbild der asiatischen Himmelskönigin sei, und insofern ja ebenfalls Urania heisse. Hier sei also Aphrodite oder Urania wenigstens mittelbar Folge der Entmannung des Uranos; auf jeden Fall gehe ihr diese voraus.

Man sollte denken, dass hier nichts als Poesie vorliege. Nachdem aber Schelling der Urania eine bestimmte Stellung angewiesen zu haben glaubt, will er diese Stellung auch historisch rechtfertigen. Dieselbe werde hauptsächlich dadurch bestätigt, dass Herodotos, ein Schriftsteller, der unser grösstes Vertrauen verdiene, diese Verehrung der Urania gerade von den ältesten geschichtlichen Völkern herkomme lasse, das heisse, von denen, die zuerst aus der Einheit der ursprünglichen Mensci. heit ausgeschieden (eine grundfalsche Annahme Schellings, wie oben dargethan worden), den Assyriern, Arabern, Persern. Bei den Persern sei diese Stellung am deutlichsten. Herodotos berichte nämlich, die Perser hätten den ersten, den höchsten Gott in dem lebendigen Himmelsumschwung erkannt und verehrt, und dann erst an zweiter Stelle als untergeordnete Naturen Sonne, Mond, ferner dann auch das Feuer, das Wasser, die Winde, das heisse, die Luft in ihren Bewegungen, kurz, die Elemente. Endlich sei auch die Erde, nicht als Element, sondern unmittelbar als Gestirn von ihnen verehrt worden. Von Tempeln, Altären, Götterbildern, überhaupt menschenartigen Göttern, wie es scheine, wüssten die Perser nichts. Sie hätten auf den Gipfeln der Berge vorzüglich dem Himmelsumschwung (so erklärt Schelling den griechischen Ausdruck) geopfert, auch der Sonne und dem Mond, wenigstens anfänglich nur diesen; dazu hätten sie aber auch von den Assyriern und Arabern gelernt der Urania opfern, welche die ersten Mylitta, die zweiten Astarte, sie selbst Mitra nennten. Der Name Mitra, merkt Schelling an, bedeute nichts anderes als die Mutter, nämlich die erste, die höchste Mutter.

Doch wir müssen auf weitere Nachweisungen des berühmten Philosophen verzichten. Ohnehin werden unsere Leser wenig einverstanden sein mit dieser Erläuterung der Theogonie oder des Ursprungs der Vielgötterei. Denn auch in diesem Punkte leuchtet ein, dass die eigentliche Grundlage seines Gebäudes eine künstliche und rein dichterische ist; künstlich, weil er aus einer höchsten geistigen Urgewalt Alles fiiessen lässt. was die Menschen sich in ihrem Innern, und zwar unabhängig vom menschlichen Bewusstsein, eingebildet haben sollen; rein dichterisch, weil er die Menschheit nach Ursprung und Geschichte so hinstellt, als hätte sie sich ununterbrochen im Laufe der aufeinanderfolgenden Perioden nach derjenigen Richtung hin entwickelt, die ihr Unterworfensein unter ein unabwendbares Schicksal mit sich brachte, die also die natürliche war und nicht anders sein konnte. Geht er doch bo weit in seiner Beharrlichkeit auf dem von ihm eingenommenen Standpunkte, dass er alle nur erdenklichen Momente zusammenspeichert, um selbst jene Scheusslichkeiten, welche im Sonnendienste kleinasiatischer Völkerschaften verübt worden sind, aus der Konsequenz seiner Grundanschauung herzuleiten und gewissermassen zu beschönigen. Daher hält er die beispiellosen Kindertödtungen dieser entmenschten Horden für nichts anderes als für Versöhnopfer, die sie dem Gott dargebracht hätten, um seinen himmlischen Zorn abzuwenden, der sonst Alles verzehre, auch den Friedenspender und Heilgeber Melkarth verschlinge, den eigenen Sohn des höchsten ¦Gottes. Anstatt einen so thierischen Rückfall aus der namenlosen Bosheit des Priestergezüchts zu erklären und mit solchen Farben zu malen, dass die späteste Welt vor dem Jammerbilde sich entsetze, greift Schelling, wie kein Zweifel bleibt, auf seinen Gott zurück, der vor der Natur beschlossen habe, durch die Natur sich zu materialisiren; ja, um in diesen Abgrund Licht zu bringen, erkennt er, wenn ich recht sehe, in den verworfenen Aufstellungen der Pfaffen ein erstes Aufblitzen christlicher Ideen. Denn wie schildert man das erfundene Trugspiel? Die Tyrier und Phönizier müssen beständig fürchten, dass ihr Gott, ein verzehrender Feuergott, ihnen den Heiland rauben werde, seinen eigenen Sohn, den Melkarth, der sie seither schütze; daher verbrennen sie ihm, dem Sonnengott und Urgott, ihre theuern Kinder, die doch sonst auch, sammt dem Melkarth, eine Beute der Vernichtung sein würden, wie der ganze Stamm.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874

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