Einleitung I: Die griechische Mythologie

Einleitung

Einleitung I: Die griechische Mythologie

Einleitung

Diesen von Ungeheuern teuflisch ausgesonnenen Götzendienst, welcher das Verderben jener Staaten ward, verbindet man überdies noch mit der griechischen Mythologie. Unter dem Melkarth nämlich versteht man den tyrisch-phönizischen Herakles (Herkules), ein Götterwesen, welches, wie auch Schelling für ausgemacht betrachtet, mit dem griechischen Herakles identisch sei. In der That, eine sehr unbegründete Identität. Denn für die Vergleichung bietet dieser Gottessohn höchstens einige Pinselstriche dar, die gemeinsam sind, aber doch einen ganz verschiedenen Hintergrund aufweisen, wie es häufig bei mythologischen Gebilden ist, die ein Volk nachgeahmt hat. Von dem Herakles der Griechen, einer Nation, die immer das Fremde selbstschöpferisch verarbeitet hat, wird lediglich berichtet, dass er ein von Zeus erzeugter Held gewesen sei, der sich durch den Zorn der Hera gezwungen sah, den ihm vorenthaltenen Bang eines Heros (Halbgottes) und die Aufnahme in den Himmel durch schwere Abenteuer zu erkämpfen. Das ist etwas ganz Anderes; einen Gottessohn, der in der eigentlichen Absicht erschienen wäre, um für die Menschheit als Retter zu leiden, stellt er keineswegs vor; er ist nur ein tapferer Streiter für die Götter und Menschen, nebenher auch ein Kämpfer für die Ausrottung der Barbarei, eine den Griechen nützliche Heldenerscheinung. Mehr in diesen Hauptheros der Hellenen hineinzulegen, wäre ein Missgriff philosophischen Tiefsinns, der so weit über die Schnur hauen würde, dass er auf eine schlimmere Oberflächlichkeit hinausliefe, als diejenige wäre, welche man dem gewöhnlichen Gesichtspunkte vorwerfen möchte. Die Griechen in ihrer Blüthezeit wissen keine Sylbe von einem halbchristlichen Heiland; auch haben sie ihrem Herakles nicht gerade sonderliche Ehren dargebracht, geschweige, denn Menschenopfer.

Verfolgen wir unsere eigene Ansicht weiter. In ihrem Bewusstsein waren manche Völker, die einen Weg zur Kultur anstrebten, auf die Stufe der Vielgötterei vorgeschritten, gemäss ihrer steigenden Berücksichtigung der sie umgebenden Natur. Sie dachten, dass ausser ihnen und über ihnen ein Götterreich bestehe, welches sie so gestalteten, dass sie ihm die Einrichtungen ihres irdischen Haushalts zu Grunde legten und auf höhere Wesen ihre eigenen Gewohnheiten, Leidenschaften und besonderen Züge übertrugen, im Denken und Handeln. Schon aus dieser Wahrnehmung ergiebt sich, dass Alles aus ihrer Phantasie selbstständig hervorwuchs, was sie von den Göttern glaubten; denn daher kam es, dass sie denselben zwar einen ausserordentlichen und überirdischen Wirkungskreis anzuweisen für nöthig hielten, aber nicht umhin konnten, das göttliche Gebahren nach ihren menschlichen Vorstellungen menschlich zu bemessen. Was die Gestalten der Körper anbelangt, liebte die morgenländische Phantasie, ihnen das Entsetzliche und Verzerrte, ja, das Ungeheuerliche aufzuprägen; bei andern Völkern begegnen wir zuerst unförmlichen, dann verfeinerten Bildern, obgleich es häufig vorkam, dass sie irgend etwas Geschmackloses, Kauderwelsches und Absonderliches zur Auszeichnung der Figuren beibehielten, vermittelst welcher die Götter versichtbart wurden. Endlich rückten die Griechen auf den Schauplatz, und diese führten nach und nach die Aufgabe durch, das Schöne aus der Unforrn herauszuarbeiten und die Göttergestalten so zu idealisiren, dass man zu dem Ausspruche berechtigt ist: sie schufen die Götter nach ihrem eigenen Bilde, indem sie den in der Körperform vollendeten Menschen darstellten, wie er, wenn nicht leiblich, doch geistig vor ihrem Auge stand, gross, herrlich, erhaben, sinnvoll. Die religiöse Aufgabe bahnte ihnen den Weg zur Kunst, und wiederum an der Gestaltung dessen, was ihnen als göttlich vorschwebte, stärkten sie das Kunstgefühl, so dass sie auf dem Gebiete der Kunst die Lehrer der Menschheit geworden sind. Denn sie verstanden es am besten, im Buche der Natur zu lesen, demzufolge ihren Geist zu schärfen und die Kühnheit ihrer Phantasie zu zügeln; sie waren eines der begabtesten Geschlechter, die aus dem innern Orient an die Gestade des westlich gelegenen Mittelmeeres vorgedrängt wurden, wo sie unter einem reichgesegneten Himmel glücklicher gediehen als irgend ein zweites Volk der Erde. Von ihren Göttern streiften sie daher die grellen und wunderlichen Merkmale, auf die wir anderwärts stossen, frühzeitig ab; ebenso die barbarischen und ungeheuerlichen Träumereien von dem geistigen Wesen derselben. Denn die Mythologie der Griechen, wie Schelling mit Recht bemerkt hat, bildet das Ende eines langen Prozesses, in welchem die Mythologie entstanden ist. Wir dürfen hinzusetzen, dass die vorzüglichen Denker unter den Hellenen, ehe die Glanzepoche dieses Volks abgelaufen war, durch Tiefsinn und Scharfblick über die von ihren Vorgeschlechtern geglaubten Göttergestalten selbst, also über den mythologischen Prozess hinausgetreten sind. Die Philosophie derselben lehrte sie den Lichtstrahl einer andern Weltordnung, sie wurde die Mutter der neueren Philosophie.

Wohin wir auch blicken, in allen Hauptmythologien finden wir ein Götterreich, mit einem Oberhaupt, welches das Regiment vorzugsweise führt. Die Familienordnung auf Erden wurde, wie oben gesagt, auf die Einrichtung des himmlischen Hofes angewandt, am genauesten in den grossen Systemen der Griechen, Römer und Germanen; die Götter zeigten dieselben Vorzüge und Mängel wie die Menschen. Dem Befehle eines obersten Weltgebieters mussten sämmtliche andere Mitgötter sich fügen, von denen ein jeder zwar eine eigene abgegrenzte Machtsphäre hatte, worin er selbstständig wirken konnte, aber nicht unabhängig hingestellt war; denn auch in diese besonderen Sphären durfte der Oberherr eingreifen, so oft es ihm beliebte, während er wiederum an sie einzelne seiner Machtbefugnisse zeitweilig überlassen konnte. Wie der Hauptgott fast immer vermählt zu sein pflegte, so gab es auch unter den Nebengöttern Gemahlinnen, Söhne, Töchter, ehelose und verehlichte Männer, auch Jungfrauen, die jeden Liebesbund von sich ausschlössen. Noch mehr; der Hauptgott galt hier und da für den Schöpfer alles dessen, was ausser ihm lebte; man führte die Abstammung sämmtlicher Götter auf ihn zurück, wie auch die Erschaffung der sterblichen Wesen, wesshalb er der Vater der Götter und Menschen hiess, so namentlich Zeus bei den Griechen, Odin bei den alten Germanen. Ausserdem reihten sich an die mächtigeren Gottheiten geringere Götterwesen, an, die allerlei Verpflichtungen hatten, ferner zahllose Meergötter, Flussgötter, Berggötter, Flurgötter, zahllose sogenannte Nymphen, Göttinnen der Quellen und Baume, Hausgötter, Genien. Man glaubte die Natur in allen ihren Erscheinungen und Organismen von höheren Wesen erfüllt und belebt.

Ebenso knüpfte man die Fortdauer nach dem Tode, wo sie nicht im Himmel sein sollte, an eine von Göttern und Göttinnen beherrschte Unterwelt an, die ebenfalls ein selbstständiges, doch von dem obersten Gott des Lichtes nicht immer unabhängiges Haupt hatte. Im Uebrigen vermöchte, man schwerlich die ausserirdischen Gestalten zu zählen, die nach dem Traum der verschiedenen Mythologien eine Existenz haben sollten, die theils von ewiger, theils von beschränkter Dauer war. Wer ferner könnte die Dämonen zählen, die überall auftauchen, und die Heroen, die bald von Vatersseite, bald von Mutterseite göttlichen Ursprungs waren und durch Thaten auf der Erde als Halbgötter in das Reich des Himmels sich emporrangen?


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874

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