Odin

Odin

Nordische Mythologie

Der höchste Gott des Göttergeschlechtes, das den Norden nach dem Unterliegen des Fornjotnischen beherrschte. Er ist nicht mit Alfadur zu verwechseln (wiewohl er diesen Titel als Beiname führt), denn Alfadur ist der ewige, unerschaffene Gott, Odin aber ein erdgeborner König. Die Edda erzählt: Aus den salzbereiften Steinen leckte die Kuh Audumbla den Riesen Bure; dieser bekam einen Sohn, Bör, welcher sich mit der Riesentochter Bestla vermählte und mit ihr den Odin, den Wile und den We erzeugte. Die letzteren beiden verlieren sich aus der Asengeschichte, werden selten erwähnt und haben nicht viel gethan; Odin aber waltet mächtig, schöpferisch, durch alle Zeiten hindurch, bis zum Weltuntergang. Die erste That der drei vereinten Brüder war, dass sie gegen den Joten Ymer auszogen, ihn erschlugen und aus seinem Leichnam die Welt bildeten. Die Welt war durch Ymer's Blut überschwemmt, und es rettete sich nur ein Paar, der Riese Bergelmer und dessen Weib. Nachdem die Erde gebildet war, bevölkerte Odin dieselbe, indem er ein Menschenpaar, Ask und Embla, erschuf; allein das Riesengeschlecht pflanzte sich gleichfalls fort, und so war von Anfang der Streit zwischen dem Guten und dem Bösen bedingt, in welchem auch Odin selbst untergeht, da er doch nur ein endlicher Gott ist. Odin ist überaus weise, und dankt sein Wissen zweien Raben, Hugin und Munin, welche auf seinen Schultern sitzen und ihm Alles erzählen, was auf der Welt geschieht, daher er auch der Rabengott heisst; ferner einem Trunk aus Mimir's Brunnen, wofür er ein Auge verlor, daher er der Einäugige heisst. Den köstlichen Dichtermeth wusste er sich durch seine List und männliche Schönheit von Gunlöda zu verschaffen, ist daher auch Dichterkönig und führt den Beinamen Liodasmieder (Liedermacher, Verseschmieder). Odins Gattinnen und Geliebten sind: Jörd (ihr Sohn Thor), Rinda (Mutter des Vali), Frigga, die Asenkönigin (Mutter des Baldur, Braga, Hermode und Tyr), Grydur (Mutter des Vidar), neun reine Riesenjungfrauen von unendlicher Schönheit, welche alle neun, am Meeresstrande schlafend, zugleich Mütter des Heimdal wurden; Skade, früher Niord's Gattin (von Odin Mutter des Semming und vieler andern Söhne), Gritha (Mutter Skiold's); ferner erfreuten ihn mit ihrer Gunst die Riesentochter Gunlöda, von welcher er für seine Liebe den Dichtermeth erhielt, und Laga, die Göttin der Gewässer. Odin wohnt in Asgard, wo er drei Paläste hat, welche Gladsheim, Walaskialf und Walhalla heissen: der erste ist zu den Versammlungen des Götterraths bestimmt; von dem zweiten vermag er die ganze Welt zu überschauen; in dem dritten sammeln sich um ihn alle Helden der Erde, um mit ihm gegen die den Weltuntergang herbeiführenden bösen Mächte zu kämpfen. Diese Helden heissen Einheriar, werden auf dem Schlachtfelde durch die Walküren mit einem Kusse zum Mahle Odins eingeladen, und erwarten dort, unter stetem Schmausen und Kämpfen, den Ragnarokr. Selbst ein Freund des Zechens und der Schlachten, lässt Odin sich stets von zwei Walküren, Rista und Mista, mit goldenen Pocalen bedienen, und kämpft mit den Einheriar's auf einem achtfüssigen Ross, mit einem nie fehlenden Speer; doch helfen ihm weder seine Helden, noch seine Waffen: der Weltuntergang bringt auch ihm den Tod. Man glaubt nicht ohne Grund, dass vieles, Odin Betreffende, theilweise historisch sei.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874