Einleitung I: Die indische Götterlehre

Einleitung

Einleitung I: Die indische Götterlehre

Einleitung

Wir müssen uns über die Mythologie der Inder kurz fassen. Die Wohnungen der meisten ihrer Götter verlegten sie nach dem Norden in den Himalaja und darüber hinaus; der wundervolle heilige Weltberg Meru wurde im fernsten Norden gesucht. Unser Lassen ist überzeugt, dass diese Vorstellungen sich erst in Indien selbst entwickelt haben und aus der eigenthümlichen Natur des nördlichen Gebürgs abzuleiten sind: der tägliche Anblick der weit in die Ebenen hinabstrahlenden und im eigentlichsten Sinne unersteigbaren Schneegipfel des Himalaja, die Kunde von der ganz verschiedenen Natur der jenseitigen Hochfläche mit ihren weiten, stillen Gebieten, der klaren wolkenlosen Luft und den eigenthümlichen Naturerzeugnissen, mussten diesen Norden zum Sitze der Götter und der Wunder machen. Die Heiligkeit erklärt sich aus einer unabweisbaren Einwirkung der umgebenden Natur auf das Gemüth.

So äussert sich Lassen, freilich nicht im Sinne der Schelling'schen Philosophie, sondern ähnlich der einfachen Ansicht, die wir im Obigen, zumal nach der neueren Naturforschung, vorziehen mussten. Folgen wir ihm weiter in der Aufführung der indischen Götter, wobei er die Sage mehr berücksichtigt als die spätere Geschichte, welche allzu trümmerhaft sich ausnehme. Nachdem er die allgemeine Benennung Gottes nach der ältesten Wurzel in den sogenannten sanskritischen Sprachstämmen historisch verfolgt hat, gelangt er zu dem Ergebniss, dass Deva von div, leuchten, herkomme; welches beweise, dass bei den indogermanischen Völkern der Begriff des Göttlichen aus dem des Lichts sich gebildet hatte, und dass der Gegenstand ihrer ältesten Götterverehrung die Erscheinungen und Wirkungen des Lichts waren. Diese, sagt er, traten am deutlichsten und wohlthätigsten in dem die Erde erleuchtenden und befruchtenden Tageslichte der Sonne hervor; in der feierlichen Stille der Nacht strahlt es dem Menschen aus geheimnissvoller Ferne entgegen in den zahllosen Sternen des Himmels. Seine furchtbare und zerstörende Kraft zeigt sich in dem Blitze bei den Gewittern, die aber auch eine wohlthätige Wirkung ausüben, indem sie den befruchtenden Regen bringen, und der Blitz, welcher das Gewölk zerreisst, musste der einfachen Naturanschauung der ältesten Menschen als That eines zugleich mächtigen, furchtbaren und gütigen Gottes erscheinen. Man erklärt sich hieraus, warum die Sitze der Götter in die Luft und in den Himmel verlegt wurden. Auf der Erde unter den Menschen und in ihren Wohnungen ist das Feuer mit seiner Flamme der Stellvertreter des Lichts, und es lag daher nahe, neben dem Lichte ebenfalls das Feuer als eine Wirkung einer göttlichen Macht zu betrachten. Die Vorstellung Lassens entspricht unserer obigen Vorstellung des theogonischen Prozesses, aber nicht dem philosophischen Systeme Schellings, welcher die nach seiner Ansicht ältesten Menschen so darstellt, als ob sie nicht sähen und hörten, weil sie unter dem geistigen Einflüsse des von ihm gesetzten Urgottes, wenn ich so sagen darf, gleichsam blind, taub und willenlos dagestanden hätten, bis sie ihr heutiges Bewusstsein erlangten, das ein anderes sei. So viel ist allerdings ausgemacht, wir schauen heutzutag durch die Natur zu Gott, während Schelling in Betreff seiner frühesten Menschen die Sache umkehrt, behauptend, die Gottheit habe sich ihnen offenbart, ohne dass sie auf die Natur achteten, aus sich selbst heraus und durch sich selbst unmittelbar.

Und so sagt denn Lassen weiter: diese Anschauungen der Natur treten deutlich hervor in den ältesten und höchsten der Vedischen Götter, derjenigen Götter, die in den heiligen Vedabüchern genannt werden. Der höchste unter allen ist Indra, der Gott des leuchtenden Himmels, der blauen Luft, von welcher er seinen gewöhnlichen Namen erhalten hat, und der Gewitter. Er ist vor den andern Unsterblichen geboren, die er mit Kraft geschmückt hat. Er hat die schwankende Erde festgemacht und die erschütternden Berge eingerammt, er hat dem weiten Luftkreise Masse gegeben und den Himmel gestützt. Seine Gattin heisst Qaki, die Macht, er selbst Cakra, der mächtige; denn er führt den Blitz oder den Donnerkeil, mit welchem er die bösen Geister erschlägt, welche die Gewässer des Himmels gefangen halten. Bei seinem Aufsuchen der bösen Geister wird Indra von der Götterhündin Sarama begleitet, welche die Kühe aufsucht, die den Göttern aus dem Himmel entführt worden waren, und die man in den Bergeshöhlen gefangen hielt, bis sie Indra, mit seinem Blitze die Höhlen spaltend, wieder zurückbringt. Die Kühe bedeuten die hinter den Bergen verschwindenden und in ihren Höhlen gefangen geglaubten Wolken, und Indra führt sie zurück, damit sie ihren Regen ergiessen. Sonach ist, meint Lassen, Indra der kämpfende Gott, welcher die bösen Geister der finstern Gewölke besiegt und der Erde, den Heerden und den Menschen den befruchtenden und erfrischenden Regen bringt, der mächtigste der Götter, der Beschützer und der Schätze verleihende. Er ist der Gott der Schlachten, zu welchem er, vom Somatranke berauscht, auf seinem mit falben Rossen bespannten Wagen auszieht und die Feinde überwindet. Die Inder, bemerkt Lassen weiter, verehrten auch einen besondern Gott des Regens, einen Gott, der zu den allerältesten gehöre, weil sein indischer Name Parganja sich bei den Litthauern als Perkunas finde, bei den Kelten als Perkons und bei den Slaven als Perun. Zweitens finden wir unter den Vedischen Göttern einen Gott, mit Namen Varuna, welcher der Gott des äussersten, die Luft umschliessenden Himmelsgewölbes ist, und daher seinen Namen Umfasser erhalten hat. Mit ihm stimmt, nach Lassens Ansicht, der griechische Name des Himmels, Uranos, des griechisohen Gottes, der ein Sohn des Erebos und der Gäa ist; eigentlich sei Varuna entstellt aus Varana (Urana), und daraus ergebe sich eine beachtenswerthe Verwandtschaft in der ältesten Götterlehre der Griechen und der Inder. Uebrigens hat Varuna Beziehungen zu dem Lichte und ist ein sehr mächtiger Gott, besonders im Nachtgebiet, so dass man seinen Zorn durch Gebete und Opfer abzuwenden sucht: ein geheimnissvolles, unsichtbares, allgegenwärtiges Wesen, welches selbst in den Zuständen der Menschen sein Walten bethätigt. Unter den Vedischen Göttern nähert sich Varuna am meisten dem Begriff eines höchsten oder Allgottes; die Ansichten von ihm sind die würdigsten und höchsten, die Ordnung in dem Leben der Welt und der Menschen steht in seiner Hand. Eine durchweg seinem Charakter ähnliche Figur bietet uns der Zeus der Griechen, wie ihn Aegchylos aufgefasst hat. Als dritter unter den Vedischen Göttern wird von Lassen Agni bezeichnet, der Gott des Feuers. Er ruft die Götter, weckt und führt sie zu dem Opfer herbei, und diese lassen sich dabei nieder auf seinem mit rothen Stuten bespannten Wagen, das Opfer zwischen den Menschen und Göttern vermittelnd, Haus und Gemeinde beschützend, Schätze und Nahrung den Menschen bringend. Kurz, Agni wurde früh in menschlicher Weise als die Grundlage aller Götter, die nur seine Modifikationen sind, und als die Grundlage des die Welt durchdringenden Lebens angeschaut.

Diese drei vornehmsten Vedischen Götter hatten auch Frauen, deren Namen Indräni, Varunäni und Agnäji lauten. Unter den übrigen Naturgöttern, sagt Lassen weiter, treten besonders die Lichtgötter hervor, zuerst die Sonne, vor welcher die Gestirne mit den Nächten wie Räuber entfliehen, und welche den Göttern wie den Menschen das reinigende Licht bringt und damit die ganze Welt erfüllt. Seine (des Lichtes) Strahlen tragen den Sonnengott empor oder die sieben rothen Pferde, welche er vor seinen Wagen spannt. Doch gab es neben dem einzigen Sonnengotte, dem himmlischen, Namens Süra oder Sürja (auch Savitar), ausserdem noch zwölf einzelne Sonnengötter, darunter Mitra, die Mittagssonne, Pusham, der Ernährer, und Aditja, der Sohn der Aditi. Eine der heiligsten Gottheiten ferner war Ushas, die Morgenröthe, deren Name sich wiederfindet in der Zendsprache (Ushas), bei den Griechen (Eos und Auos statt Ausos), bei den Römern (Aurora) und bei den Litthauern (Austrä). Sie ist die Tochter des Himmels und öffnet dessen Thore; sie ist zugleich Tochter der Sonne und wird von der Nacht geboren; sie ist alt, wird aber stets wieder geboren und wandelt die Wege der vergangenen Morgenröthen, sie, die erste der zukünftigen, die sich ewig folgen werden. Ihr Licht ist das erste der Lichter; sie vertreibt die Nacht und die Finsterniss, bei ihrer Ankunft gehen die Vögel, die Thiere und die Menschen hervor; es wird alles beseelt und belebt, wenn sie hervorglänzt; sie treibt an zu wahren Reden, sie holt auf einem Wagen, der mit rothen Kühen oder auch mit Pferden bespannt ist, alle Götter herbei zum Soma-Tranke. In den Lichtkreis gehören noch andere Wesen, namentlich die Winde (Marut), während der Mond und die Planeten nicht als Vedische Götter betrachtet werden können. Daraus wäre zu folgern, dass es lange gedauert hat, ehe es zum eigentlichen Sterndienst unter den Völkern gekommen ist, ein Umstand, der auch nicht zu Gunsten des Schelling'schen Systemes spricht.

Es wäre unmöglich, den Wechsel der indischen Götterkreise hier weiter zu beschreiben. Selbst Indra blieb nicht der höchste Gott, sondern die Sonne ward es, welche man als die Seele des Alls fasste; nur bei dem Volke behauptete Indra seine höchste Stelle und wurde in der nach-vedischen Zeit zum obersten Gott der Dewa erhoben, der Höchststehende genannt; ein Titel jedoch, der auf den höchsten Gott der Spekulation, den Brahma, überging. Die alten Götter sanken in der Vorstellung der späteren Zeit zu einer erniedrigten Stellung herab, wie es die epische Dichtung bezeugt. Man fing endlich an, eine Benennung für den höchsten persönlichen Gott zu suchen; man nannte das höchste Göttliche, das ein Unbekanntes und Allgemeines war, mit einem bestimmteren Ausdruck das Brahma, welches für das erklärt wurde, aus welchem alle Wesen entstehen, durch welches sie, wenn geboren, leben, wohin sie streben, und in welches sie wieder eingehen, für die Erkenntniss und Seligkeit. Der ursprüngliche Begriff des Wortes, der des Gebets und der Andacht, sagt Lassen, ist zuerst zu dem einer religiösen Handlung überhaupt und dann zu dem des höchsten Göttlichen erweitert worden. Lange suchte man nach einer Benennung des höchsten persönlichen Gottes, und der Name Brahma hatte den Vorzug, auch die Priester zu bezeichnen, deren höchster Gott und Schöpfer er war. Doch ist er nie ein Gott des Volks geworden und hat daher nie einen Kultus erhalten, selten nur eine Feier durch Feste.

Neben Brahma, wurden noch zwei höchste Götter verehrt, Vischnu (Wischnu) und Qiva (Schiwa). Man legte ihnen mancherlei Namen bei, die ihren Charakter bald so, bald anders ausdrücken sollten. Brahma, der in den vorepischen Schriften als der einzige höchste Gott dastand, erhielt den Namen Näräjana, weil er für den Schöpfer galt; doch ist Närajana ebenfalls kein Gott des Volks gewesen, sondern der Brahmanenschulen. Die Schöpfung des Brahma wurde auch dargestellt als ein von allen Göttern verrichtetes Opfer, bei welchem aus den Theilen seines Körpers alle Dinge und Wesen entstanden. Um die Erhebung Wischnu's zu einem Gotte des höchsten Ranges sich zu erklären, erinnert Lassen daran, dass seine Stelle am Himmel die höchste war, und dass die Sonne auch als höchste Gottheit betrachtet worden ist; und Wischnu hiess zwar der jüngste der Sonnengötter, zu denen auch Indra gehörte, aber zugleich der höchste: wesshalb man ihn oft mit Indra zusammen anrief, seltener mit den eigentlichen Sonnengöttern, ein Zeichen, dass letztere ihm nicht gleichgestellt wurden. Die Eigenschaft jenes Närajana ging nunmehr auf Wischnu über, und da von Närajana die Ansicht galt, dass er sich zum Opfer hingab, um die Welt zu erschaffen, so konnte diese Ansicht, wie Lassen meint, leicht dahin sich erweitern, dass Wischnu seiner göttlichen Natur sich entäusserte, um die Welt von Uebeln zu befreien. Diese letzte Thätigkeit, bemerkt er, ist ihm unter den drei grossen Göttern des spätem Systems eigenthümlich. Eine Menge Verkörperungen oder Herabsteigungen (Avatara) wurden ihm nach und nach zugeschrieben, zuerst in den epischen Gedichten; ein Beweis gegen Schelling, welcher von dem Einflüsse der Dichter auf die Mythologie nicht viel wissen mag, gemäss seinem Systeme, welches auf eine unmittelbare Gotteseinwirkung gerichtet ist und desshalb die Phantasie der Dichter gewissermassen ausschliesst. Wir können auf diese Verkörperungen des Wischnu hier nicht eingehen, sondern müssen uns begnügen, auf ihre kritische Erörterung Lassens zu verweisen. Bemerkt sei noch, dass die Verehrung des Wischnu in der Zeit zwischen Buddha und Kandragupta eine weite Verbreitung unter dem Volke gefunden haben muss, weil man sich nicht anders erklären kann, dass die Brahmanen ihn als einen der grossen Götter in ihr System aufgenommen haben, während in den epischen Gedichten seiner noch selten gedacht wurde.

Die Verehrung des Schiwa endlicn natte, wie Lassen darthut, ebenfalls eine sehr weite Verbreitung. Ein Hauptsitz derselben war Gangädvära im Himalaja, dann das nördliche Hochland; frühzeitig wurde ferner sein Kultus in Kacmira eingeführt. An den Thron im Himalaja erinnernd, heisst seine Gattin Pärvati (die Berggeborene) und Durga (Gebürgspass): sie ist eine Tochter des Gebürgs. Auch nahm er die vom Himmel herabfallende Gangä auf. Sein Name bedeutet wahrscheinlich den Wachsenden: er ist der Gott der gewaltigen Zeugungskraft der Natur, vor dieser fürchten sich sogar die Götter. Er gilt für den Herrn der Thiere, und der Stier ist ihm als Symbol gegeben worden; wesshalb er der Stierbannerträger heisst. Andere Namen beweisen, dass er als ein grosser Gott verehrt wurde; denn er hiess erstens der Herrscher (Iijvara), zweitens der grosse Gott (Mahädeva), drittens der Gott der Götter (Devadeva) und der Herr aller Götter (Sarvadeweca). Als besondere Waffe führt er den Dreizack (Tricüla), welcher die Gewalt bedeutet, und ein Netz (Päca), welches ein Symbol seiner besonderen Herrschaft über die Thiere ist. Ihm allein von den Gottern brachte man ein Thieropfer dar. Ausserdem fehlt es nicht an Namen, die einerseits seine Wohlthätigkeit oder seine schöpferische Kraft bezeichnen; wie ihm denn Soma mit seiner die Natur befruchtenden Kraft beigegeben wurde. Andererseits machte man den Schiwa, dadurch, dass man die Ansichten von Agni und R u d r a (Sturmgott) auf ihn übertrug, zur zerstörenden Gottheit, zum Gott des Todes, der als solcher eine Halskette von Todtenschädeln trägt. Wie dem dreiäugigen Budra legte man ihm auch ein drittes Auge bei, welches, wie Lassen vermuthet, die Allgegenwart des Gottes andeuten sollte. Indess war Schiwa keineswegs aussehliesslich der zerstörende Gott, vielmehr auch ein Vertilger der bösen Geister. Seine Verehrung unter dem Bilde des Linga (Phallus) bleibe unbesprochen; sie fand besonders im südlichen Indien statt, und war, nach Lassens Meinung, wahrscheinlich von den Urbewohnern dieses Gebiets, wo das Linga sich vorfand, auf diesen Gott übertragen worden. Die Menschen achteten frühzeitig auf den Charakter der Zeugung, zwar mit thierischem Interesse, aber auch hierin von den Thieren sich wesentlich unterscheidend, die alle nur dem blinden Instinkt gehorchen. Doch möge es bei diesen Einzelnheiten bewenden.

Wir legen das Ganze mit Lassen noch in folgender kurzer Uebersicht hier vor. Bei Schiwa, bemerkt der grosse Alterthumsforscher, muss wie bei Wischnu angenommen werden, dass er ursprünglich als höchster Gott bei seinen Verehrern galt, und dass die Verehrung dieser Götter bei dem Volke zu tief eingewurzelt war, um wieder verdrängt werden zu können. Es ergab sich daher für die Brahmanen die Notwendigkeit, sie als solche anzuerkennen und ihnen eine solche Stellung zu verleihen, dass ihr eigener Gott Brahma neben ihnen seine Würde behaupten könnte. Das Mittel, alle drei nebeneinander bestehen zu lassen und sie unter eine höhere Einheit zusammenzufassen, bot die in dem Veda ausgesprochene Ansicht dar, dass das höchste Wesen drei Zustände habe, Schöpfung, Fortbestehen und Zerstörung; dass die Welt ewig in ihm sei, aua ihm hervorgehe und sich wieder in ihm auflöse. Brahma, wurde der Schöpfer, Wischnu der Erhalter, Schiwa der Zerstörer. Die epische Poesie erkennt diese drei Götter als die höchsten nebeneinander an, ihre Einheit tritt aber nicht entschieden hervor, und die Lehre von dem Trimurti, der Einheit der drei grossen Götter, muss erst der nachfolgenden Zeit zugeschrieben werden. Ob bereits in der Epoche, wo Buddha auftrat, das System der drei grossen Götter ein abgeschlossenes war oder nicht, weiss man aus den Ueberlieferungen nicht mit Sicherheit, doch hält es Lassen für wahrscheinlicher, dass mit dem Auftreten des Buddha die Ansicht von drei grossen Göttern die herrschende yar. Ueber die Frauen der letztern waltet die gleiche Unsicherheit ob. Nur von der Gattin des Schiwa könne man, wie Lassen meint, mit Grund annehmen, dass sie zu Buddha's Zeit festgestellt gewesen sei. Wie von ihrem Gemahl, so gelte von ihr ebenfalls, dass Namen und Vorstellungen von älteren Göttinnen auf sie übertragen worden; von der Gattin des Brahma, der Sarasvati, könne man das Nämliche vermuthen, dagegen sei die Gemahlin des Wischnu, die Laxmi, ohne Zweifel entstanden durch die Vereinigung mehrerer früherer getrennter Göttinnen zu einer einzigen Gestalt, ganz wie es mit ihrem Gemahle selbst der Fall gewesen sein möge.

Eine Menge Sagen von geringeren Göttern erwähnt und beurtheilt Lassen nebenher, wie die von dem Göttervogel Garuda (Garutmat), welcher, obwohl er ein Gott war, doch von Wischnu zu seinem Diener gemacht wurde, nämlich zu seinem Träger durch die Lüfte. Ferner gedenkt er der uralten Sitte, die Götter durch Opfer zu verehren, zunächst des weitverbreiteten und frühe schon bei den Arischen Indern gebräuchlichen Soma-Opfers; letzteres war auch bereits vor Zoroaster bei den Anhängern seiner Lehre eingeführt worden und ging von Baktrien zu den Medern über. Alsdann erwähnt er das Feueropfer der Inder, worin man die ausgelassene Butter heiliger Kühe darbrachte, das Werthvollste, was man zur Zeit des Hirtenlebens besass. Aber auch Thieropfer wurden gefeiert und Menschenopfer. Unter den Thieropfem war am meisten geschätzt das Pferdeopfer, dann folgten Rinder, Ziegen und Schafe. Es galt die Ansicht, dass der Verrichter eines Thieropfers sich dadurch von der Sünde loskaufe, und dass die Wirksamkeit des Opfers desto grösser sei, je vornehmer das Thier sei. Da nun der Mensch der Herr der Geschöpfe und das vornehmste Thier ist, so schritt man auch zu Menschenopfern, wenigstens in der frühesten Epoche, wie neuerdings nachgewiesen ist. Doch wurde nach den ältesten Quellen nur ein einzelner Mensch geopfert. Nicht blos Brahmanen, die stets als Oberpriester fungirten, auch Könige konnten ein solches Opfer veranstalten. Ferner gab es Allopfer, bei welchen alle fünf Opfer vorkamen (also Mensch, Pferd, Rind, Ziege und Schaf). Endlich scheint es, dass man Mittel aufsuchte, das wirkliche Menschenopfer zu beseitigen; man ersetzte es durch einen Opferkuchen, durch ein goldenes oder irdenes Bild statt eines wirklichen Menschen, und man schuf Legenden, in denen zum Opfertode bestimmte Menschen von Göttern gerettet werden. Wenn übrigens, bemerkt Lassen, die alten Inder nicht von dem Vorwurf freigesprochen werden können, die Gräuel der Menschenopfer zugelassen zu haben, so theilen sie dieses Schicksal mit den Römern, den heidnischen Deutschen, Skandinaviern und Slaven. Wir dürfen hinzufügen, dass es selbst bei den Griechen in ihrer sogenannten heroischen Epoche, laut ihrer Poeten, einzelne Menschenopfer gegeben hat, bis sie, bei gesteigerter Kultur, von den boshaften, dahinzielenden Vorschlägen ihrer Priester sich lossagten. Aus Allem geht hervor, dass die alten Inder nicht in die masslose Verruchtheit jenes Molochdienstes verfallen sind, dessen wir oben gedacht haben, und dessen abscheuliche Ausartung durch keine Philosophie jemals eine Abgleichung finden wird, die mehr als eine elende Vertuschung wäre.

In den obigen Sätzen führen wir Christian Lassen fast durchweg mit seinen eigenen Worten an. Er sichtet mit historischer Strenge die Ueberlieferungen, und wir bedauern nur, aus Mangel an Raum, seine Kritik der indischen Kasten und die (wie er sagt) deutlich nachweisbare Entstehung derselben ausschliessen zu müssen. Doch sei uns gestattet, eines seiner Worte über die indischen Götterbilder anzufügen. Die älteste Erwähnung derselben, berichtet er, finde sich in dem Adbhuta Brahmana, wo von ihnen gemeldet werde, dass sie lachen, schreien, singen, tanzen, schwitzen und blinzeln>; nämlich das Volk glaubte, dass die in Tempeln aufgestellten Götterbilder von den Gottheiten belebt waren, welche sie darstellten.

Schliesslich heben wir noch ein Wort von dem interessanten Ergebniss seiner Untersuchung über das Himmelreich aus, wie man dasselbe nach dem Veda zur indischen Urzeit sich träumte. Es sollte eine Heimath geben, in welche die Menschen ohne Ausnahme nach ihrem Tode eingehen, und die ihnen nicht wieder genommen wird. Jama heisst der König und Versammler der Menschen, die nun selig sind; er ist selbst den Weg des Todes gegangen, er gilt für den ersten Ankömmling im Reiche der Unsterblichen, und erscheint daher als das natürliche Oberhaupt derer, die ihm nachfolgten. Bei den Iräniern ist aus dem himmlischen Paradiese, nach Umänderung der indischen Sage, ein irdisches und aus dem seligen Leben der Verstorbenen im Himmel ein glückliches Zeitalter auf der Erde geworden.

Lassen kommt zu dem Ergebniss: die alten Inder glaubten frühe an die Unsterblichkeit, dachten sich aber ihr Leben auf eine einfache, etwas sinnliche Weise. Die Unsterblichen lebten fort in ungetrübter Freude unter einem schön behellten Baume. Den Himmel dachten sie sich im Innersten des Weltraums oder auch in den heiligen Räumen der Götterwelt.

Schelling deutet (wir wundern uns nicht darüber) die indische Mythologie anders, nämlich seinem Systeme entsprechend. Wir können jedoch von der Entwicklung seiner Ansichten hier nichts beibringen; sie laufen darauf hinaus, dass er, wahrscheinlich noch unbekannt mit den von Lassen geführten, historischen und sprachlichen Nachweisungen, eine Trias (Trimurti) der drei grossen Götter als eine ursprüngliche und feste statuirt, dabei aber den Schiwa zum Mittelgliede macht, ihn vor Wischnu setzend. Obgleich Schellings Behauptung richtig ist, dass die Ideen der Menschen oftmals über die ältesten Ueberlieferungen und Schriftwerke hinausreichen und in ein höheres Alterthum zurückgehen, so drängt sich uns im vorliegenden Falle doch das Bedenken auf, dass er dem höchsten Alterthume eine solche Vorstellung zutraut, eine Vorstellung, die offenbar auf eine sehr vollkommene erste Anschauung hinweisen würde. Und gleichwohl sollte in den Sagen und Büchern der Inder auch nicht die leiseste Spur von diesem Kultus zurückgeblieben sein? Glauben wir vielmehr, dass Schelling auch hier künstelt, um sein System beharrlich durchzuführen. Nur seine Ansicht über Buddha wollen wir noch mittheilen. Der Buddhismus, sagt er, ist durchaus keine blosse Einheitslehre, obgleich er etwas sehr Bestimmtes und Positives sei. Der Grundbegriff besage, dass Buddha der Gott ist, der nicht nur keinen seinesgleichen, sondern der Nichts ausser sich hat. Oder indem er auf den Koran (freilich ein gewaltiger Sprung in der Geschichte!) hinsieht, wo Gott der Schöpfer (Anfänger) Himmels und der Erde heisst, erkennt er darin die Bedeutung der Buddha-Idee ganz und gar wieder und behauptet: Buddha ist der schlechthin nichts ausser sich selbst Voraussetzende, keiner Materie, keines Stoffes ausser sich zu seinen Hervorbringungen Bedürftige; denn er ist sich selbst Materie, indem er der sich selbst materialisirende Gott ist. Wie der berühmte Philosoph weiterhin den Buddhismus mit der Zendlehre in Verbindung bringt und zu zeigen sucht, dass der erstere einen Dualismus in sich schliesse, aber nicht gerade den persischen Gegensatz zwischen dem guten und bösen Prinzip: das in Ueberlegung zu ziehen, wollen wir dem Leser anrathen, der tiefer in diese Fragen zu tauchen Lust hat.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874

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