Einleitung I: Die Ausartung des Christenthums

Einleitung

Einleitung I: Die Ausartung des Christenthums

Einleitung

Den Spruch der Kritik indessen muss das Christenthum sich gefallen lassen, und gerade die vergleichende Mythologie hat hier ein schwerwiegendes Wort mitzusprechen, wie aus Folgendem erhellen wird. Nur leicht sei ihre Aufgabe angedeutet. Die Weltübersicht, die ihr zu Gebote stehen muss, wird diese Wissenschaft in den Stand setzen, erstens die Summe der heidnischen Elemente zu bezeichnen, welche aus den asiatischen Mythologien, und die jüdischen, die aus der Religion der Juden in das Christenthum schon zu der Zeit eingedrungen sind, als die Apostel lehrend auftraten. Denn es steht nicht zu bezweifeln, dass die letztern durchaus nicht in allen Zügen das reine Bild des grossen Weltlehrers aufgestellt haben, sondern dass sie, durch ihre edle Begeisterung hingerissen oder aus irgend einer Rücksicht auf die Steigerung ihres Wirkens, auf den Eindruck der neuen Lehre, den sie unter den damals tief gesunkenen Völkern hervorzubringen wünschten, dass die Apostel, sage ich, hier die Persönlichkeit des göttlichen Meisters und die von ihm verrichteten Thaten so wunderbar als möglich ausschmückten, dort die ursprüngliche Form seiner Worte nach dem Geschmack der Orientalen und Israeliten gestalteten, nicht aber immer einfach und deutsch. Wir gestehen gerne zu, dass sie arglos verfuhren, und dass ihr Verfahren ein nothwendiges und der Zeit entsprechendes war, wenn sie den geheimen Bund der Christen erweitern und befestigen, die Herzen der gemeinen Leute gewinnen und gegen äussere Angriffe in Noth und Tod stählen wollten. Allein heutzutag, wo wir keine Feinde mehr zu fürchten brauchen, nachdem die evangelische Freiheit durch Luther zurückerobert worden ist, dürfen wir tiefere Fragen stellen; unser Verstand fordert unabweislich, dass wir die Grundwahrheiten aus den Schlacken sondern und den Kern der Lehre suchen, um derentwillen ihr erhabener Schöpfer als Erlöser, Heiland, Beglücker und Retter des Menschengeschlechts gepriesen wird, in einem ungleich höheren Sinne, als je ein Gott der Heiden gepriesen wurde. An Redensarten der Prediger halten wir uns nicht mehr; das allgemeine Losungswort unsers Zeitalters ist: Klarheit in allen Dingen! Die Mythologie kann also einen in seinem Werthe für die Religion unberechenbaren Beitrag liefern. Theologische Nebel müssen zerstreut werden; der blosse Glaube bessert die Welt nicht nur nicht, sondern wirft sie wieder und immer wieder in das alte Irrsal des Menchengeschlechts zurück. Derjenige, der das Heidenthum umfassend kennt und mit dem Christenthum vergleicht, ist berufen, eine Sichtung vorzunehmen, die vielleicht allein genügen könnte, den ebenso flachen als trotzigen Einwürfen gegen das Christenthum einen Damm zu setzen, ein für allemal.

Zweitens aber (und das ist verhältnissmässig leicht) hat die Wissenschaft der vergleichenden Mythologie nach allen Seiten hin festzustellen, was aus dem hehren Christenthum geworden ist, seit es in die Hände des römischen Bischofs und seiner Nachfolger im Mittelalter fiel. Der Umstand, dass von Rom aus einstmals die Welt beherrscht wurde, brachte die römische Priesterschaft auf den übermüthigen Gedanken, dass ihr Oberhaupt berufen sei, Christi Stellvertreter in allen Landen zu spielen und das höchste weltliche Zepter auf der Erde zu schwingen, nicht blos über alle Geistliche, sondern auch über alle Bekenner des christlichen Glaubens sammt ihren Staaten und deren Regenten. Der geheime Bund der Christen schlug, als er allmälig erstarkt war und heldenmüthig für das Wohl der Menschheit gekämpft hatte, in die ärgste und ruchloseste Tyrannei über. Unsägliche Blutströme sind in Folge des Papstthums, zu welchem das Christenthum geworden war, im Laufe der Jahrhunderte geflossen; der alte Moloch Asiens gleichsam war wiedergekehrt, um Massenopfer für seinen Schlund zu fordern und die Blume der Menschheit schlimmer abzusengen, als es je im Heidenthume geschehen war. Denn iin letzteren gab es eine blosse Schlächterei und thierischen Leibermord, zum Beweise errungener Herrschaft; im Papstthum galt es die absichtliche und absolute Vernichtung des Menschengeistes, wenn eine solche möglich wäre, damit man die Völker, nach Köpfung der edelsten Häupter, zu gedankenlosen Heerden mache, zum Gegentheil dessen, was der Stifter des Christenthums gewollt hatte. Und weit war die ungeheure Verderbniss schon vorgerückt. Nur unter den urkräftigen, germanischen Völkerstämmen vermochte die römische Brutalität zum eigentlichen Siege nicht zu gelangen. Deutscher Geist brach den Zauber.

Genug, es trat eine lange Epoche ein, worin das Christenthum lediglich desshalb auf die Erde gekommen zu sein schien, um die Unmenschlichkeit des barbarischen Heidengeschlechts zu überbieten. Wie aber wnrde ein solcher Missbrauch der christlichen Lehre möglich? Darauf hat die vergleichende Mythologie zu antWorten, und sie wird die Antwort nicht länger schuldig bleiben, wenn sie sieht, dass auch heute noch die Gefahr des Menschengeschlechts nicht vorüber ist. Sie hat Punkt für Punkt nachzuweisen, wie jenes von den Aposteln fortgepflanzte Christenthum durch die römischen Päpste und deren über die fernsten Zonen verbreitete Heerschaar zum blanken und puren Heidenthum verkehrt worden ist, indem man mit beispielloser Hinterlist das uralte Pfaffenziel verfolgte, die neue Lehre zur Machtentfaltung blinder Priesterherrschaft zu benutzen; wobei den Pfaffen die Göttlichkeit und die ewige Wahrheit dessen, was Christus gebracht hatte, vollkommen gleichgültige Nebensache war. So schmuggelte man von Korn aus, dem Kochheerde der Ränke, von Epoche zu Epoche das Christenthum mit dem Heidenthum mehr und mehr vermischend, alle Schandgebräuche des Orients in die Abendländer unc in die neuentdeckten Erdtheile unter die dummen und zur Verdummung bestimmten Völkermassen ein, ihnen des Himmels Seligkeit versprechend, aber die Hölle auf Erden bereitend. Die Wissenschaft der vergleichenden Mythologie hat also darzuthun, wie von den Bischöfen Roms mit orientalischem Garne das gewaltige Netz ausgesponnen wurde, worin man jenen grossen, anfangs zu guten Zwecken bekehrten Theil der Menschheit zu verketten suchte: wie man die besondere Heiligkeit der Priester aussprach, den römischen Bischof zum Herrn Aller erklärte, nach dem Beispiele des Orients die eine Zeitlang nützlichen Klöster für Mönche und Nonnen baute, geistliche Orden und Ordenshäuser gründete, die scheussliche und stets käufliche Sündenvergebung, die lächerliche Fürbitte mit Segenspendung und Strafandrohung, den hässlichen Beichtstuhl, das abscheuliche Cölibat einsetzte: Alles, wie es längst im heidnischen Orient bestanden hatte. Desgleichen entlehnte man geistlose Gebetsformeln mit dem Gebrauche des Rosenkranzes, absonderliche Bussübungen, die Anordnung allgemeiner Wallfahrten und Prozessionen dem Bonzengezücht des fernen Morgenlands, wohin das Christenthum noch nicht vorgedrungen war; der römische Papst selbst setzte sich die dreifache Mütze (Krone) der orientalischen Papstungeheuer auf, und die Vielgötterei kehrte wieder! Denn ganz treffend ist der bekannte Ausspruch, dass die Päpste für Alles Heilige machen, die angebetet werden, wie die antiken Völker einst und ihre Priester für Alles Götter machten. Und so liefe die Sache darauf hinaus, dass der Vorwurf gerechtfertigt ist, wenn von dem Christenthum, besonders von dem päpstlichen, behauptet wird, dasselbe sei eine neue Mythologie.

Nicht genug, dem römischen Christenthume ist in unsern Tagen schliesslich die heidnische Krone aufgesetzt worden. Die christliche Welt hat am 18. Juli 1870 in dem römischen Papste einen sichtbaren Götzen erhalten! Somit ist das orientalische Lama endlich vollends zu Stande gekommen, oder das goldene Kalb ist wieder erstanden, welches Moses einst, vom Berge Sinai steigend, zornig in Stücke schlug. Man staunt, zu erleben, dass es heutzutag im kultivirten Europa noch Menschen giebt, welche keine Scham fühlen, einen Mitmenschen als ein unfehlbares Götterwesen zu betrachten und zu verehren. Doch freilich, der ganze Römerkultus ist Schein.

Welche Bewandtniss es habe mit der Ausbreitung der römischen Papstreligion unter den Heiden, zeigen uns mehr als zur Genüge amerikanische Beispiele. Die Frage, ob überhaupt der Versuch zur Bekehrung der Indianer und anderer Völkerschaften nothwendig und nicht vielmehr verfrüht, voreilig, unnütz gewesen sei, lassen wir zur Seite. Erfolgreich für die Kultur sind die Bekehrungen nicht ausgefallen; im Gegentheil scheint es, dass es besser gewesen sein würde, jene Naturmenschen bei einer Religon zu lassen, die nicht schlechter war als die, welche man ihnen aufzuzwingen suchte. Der Grund und Boden zu so rascher Bekehrung fehlte. Mit vollem Rechte pflegte sich mancher Indianer, wenn man ihm den christlichen Gott aufdisputirt hatte, über die Persönlichkeit desselben zu wundern; denn früher sah und hörte der Wilde seinen Gott, wie alle Heiden, zunächst in den Wolken, im Windesbrausen, im Blitz und Donner. Nun vermag er nirgends mehr einen Gott zu finden. Ein anderes Bedenken stellen die Bewohner der mitten im stillen Meere gelegenen TonchaInseln auf, wie uns Friedrich Gerstäcker neuerdings berichtet hat. Diese kindlichen Seelen hegen von ihren Vätern her den Glauben, dass die besagten TonchaInseln allesammt aus der Tiefe herausgeangelt worden seien. Wenn sie nun von den Missionären Hören, dass der christliche Gott die ganze Welt mit einem einzigen Worte erschaffen habe, so schütteln sie den Kopf mit der Einwendung: wie sollen wir das glauben, wenn ihr uns einerseits nicht einmal glauben wollt, dass einer von unsern Göttern die kleine Insel, auf der wir wohnen, mit einer Angel aus dem Meer heraufgezogen habe? Ihr könnt ja den Platz noch deutlich sehen, in welchem der Haken eingegriffen hat! Dabei zeigen sie auf eine Höhle, die sich in irgend einem Felsen des Eilands befindet, und versichern, das sei der Platz, wo man die Spur, dass der von dem Gotte niedergelassene Angelhaken gefasst habe, noch heute sehen könne.

Doch wie ist das Bild der Religion beschaffen, die jene Bekehrer (vornehmlich Jesuiten) zum Heile der Sterblichen nach Amerika transportirt haben? Zwei Beispiele wollen wir anführen, das eine von Mexiko, das andere von Chili, beide äusserst ähnlich. Ein Augenzeuge schildert uns in der Allgemeinen Zeitung (28. September 1870) die erstaunenswerte Herrlichkeit des unter den Mexikanern angezündeten römischen Gottesdienstes oder vielmehr Vielgötterdienstes. Nachdem vorausgeschickt worden ist, dass die auserwählten Diener Gottes, die abgesandten PredigerMönche und später auch die Weltgeistlichen, sehr kluge und praktische Gesellen waren, die es trefflich verstanden haben, die Gebräuche des altmexikanischen Kultus den ihrigen anzupassen und einzelne der alten Götter mit den neuen Heiligen zu verschmelzen, giebt unser Augenzeuge die folgende Erklärung davon, wie es den Pfaffen gelungen ist, diesen Barbaren das Heil der Seele und die ewige Seligkeit anzuweisen. Die alten Azteken, sagt er, verehrten neben einem höchsten Wesen von grösster Vollkommenheit und Reinheit dreizehn Hauptgottheiten und mehr als zweihundert geringere, welche über die Elemente, den Wechsel der Jahreszeiten, die verschiedenen Beschäftigungen der Menschen walteten, deren jeder besondere Tage und Feste geheiligt waren, und deren meist abschreckend hässliche Nachbildungen die Penaten jedes Hauses bildeten. Was war natürlicher, als dass die mexikanischen Indianer in dem katholischen Heiligendienst, dessen Bedeutung ihnen verborgen blieb, den Bilderdienst ihrer alten Religion wiederfanden? Die Unzufriedenheit der Eingebornen mit ihren eigenen Göttern, die das Land nicht zu schützen vermocht hatten, und ein merkwürdiges Zusammentreffen einzelner Lehren und Gebräuche ihrer Religion mit den Glaubenssätzen und Bräuchen der Eroberer erleichterten den Uebergang zum Christenthum. Auch der Hauptgott der Azteken, Huitzilopochtli, der mexikanische Mars, soll von einer unbefleckten Jungfrau geboren sein. Auch sie kannten eine Art von Taufe und Communion. Stirn und Lippen der neugebornen Kinder wurden bei Ertheilung eines Namens mit Wasser benetzt, mit Blut gemischtes Maisbrot, Fleisch der Gottheit, wurde bei festlicher Gelegenheit unter das Volk ausgetheilt. Das Kreuz war ihnen Emblem des ersehnten Regens. Ihr Todtenfest fiel fast auf denselben Tag wie das Allerheiligenfest. Kann es Wunder nehmen, dass der heilige Geist mit dem heiligen Adler der Azteken, der Apostel St. Thomas, welcher von Peru nach Mexiko gekommen sein soll, mit ihrer edelsten Gottheit Quetzalcoatl identifizirt ward, die, als sie der Sage nach das Land verliess, ihre spätere Rückkehr verkündet hatte, und dass man sogar den Namen Mexiko für fast identisch mit dem hebräischen Namen des Messias erklärte? Dann fügt der Berichterstatter hinzu: nicht durch Aufklärung, sondern durch den Glanz der Ceremonie und das Bild des leidenden Erlösers riss der katholische Missionär seine ungebildeten Zuhörer mit sich fort; wie denn schon A. von Humboldt bemerkt habe: Dogma ist nicht auf Dogma gefolgt, sondern Ceremonie auf Ceremonie; die Eingebornen wissen nichts von Religion als die äusseren Formen des Gottesdienstes. So erkläre sich leicht, wie auch heute noch das übertünchte Heidenthum vielfach in den nur der katholischen Kirche in Mexiko eigenthümlichen Gebräuchen hervortrete; ebenso erkläre sich daraus die Rolle, welche Tänze, Pantomimen und seltsame Verkleidungen an christlichen Festen, selbst während der Prozessionen und sogar vor und nach der Messe, in der Kirche spielen. Um nur einer von diesen Schaustellungen zu gedenken, am Jahrestage der heiligen Jungfrau von Guadalupe werden in der Kirche selbst die groteskesten Indianertänze zwischen den gottesdienstlichen Handlungen aufgeführt. Männer und "Weiber und mit Pferdefuss, Hörnern und Schweif angethane Teufel springen zur Erheiterung der andächtigen Gemeinde, nicht immer mit anständigen Geberden, vor dem Altar umher, und Teufel und Weiber bekommen manchmal die grosse Peitsche zu fühlen, womit die Männer sich den Takt zum Tanze schlagen. So viel aus der Mittheilung unsers Augenzeugen, der immer noch mit der Sprache etwas zurückhält; denn seine Worte lassen in dieser Kritik des mexikanischen Gebahrens den Hintergrund offen, als ob in dem katholischen Heiligendienst wirklich eine Bedeutung stecke, die sich losmachen könne, und als ob das katholische Christentum anderwärts, wenn auch nicht in Mexiko, irgend einen Anspruch auf den Namen reinen Christenthums habe. Nur so freilich ist der Berichterstatter im Stande, von übertünchtem Heidenthum zu reden. Die Sache ist zu ernst, als dass man dergestalt über Religion sich äussern sollte, vorausgesetzt, dass derjenige welche hat, der sie so bespricht, nämlich oberflächlich oder halbironisch.

Das zweite Beispiel von Chili nimmt sich keineswegs christlicher aus. Wir wollen als Gewährsmann einen Franzosen reden lassen, den Schriftsteller Gustave Aimard, also einen Mann unserer Tage, der sicherlich ein ächter Katholik ist. In Chili, schreibt er wörtlich, ist die katholische Religion so zu sagen ganz äusserlich; ihr Kultus besteht aus zahlreichen Festen, die mit Pomp in den von Lichtern, Gold, Silber und Edelsteinen schimmernden Kirchen gefeiert werden, und aus endlosen Prozessionen, die Bich unter einem Blumenregen mitten durch die Wolken von ununterbrochen brennendem Weihrauch hinziehen. In diesem von der Sonne geliebten Lande ist die Religion ganz Liebe (!); die feurigen Herzen, welche es bevölkern, kümmern sich nicht um theologische Streitigkeiten: sie lieben Gott, die Jungfrau und die Heiligen mit der Anbetung, Selbstverläugnung (!) und Hinreissung, welche sie in alle ihre Handlungen legen. Also sind sie doch die herrlichsten Christen, die es geben könnte, sollte man denken. Allein Herr Aimard fährt harmlos fort: der Katholicismus ist für sie, ohne dass sie es ahnen, in eine Art Heidenthum umgestaltet, das (setzt Aimard mit ächter Logik eines sehr klugen Franzosen hinzu) nicht begründet ist, aber dessen Existenz nicht geläugnet werden kann. So gestehen sie stillschweigend dieselbe Macht irgend einem Heiligen wie der Gottheit selbst zu, und wenn die meisten unter ihnen ihr Gebet an die Jungfrau richten, ist es nicht Maria, die Mutter des Erlösers, welche sie bitten, sondern Nuestra SenoradelosDolores, Nuestra SenoradelCarmen, Nuestra SenoradeQuadalupe, Nuestra SenoradelaSoledad, Nuestra SenoradelPilar, Nuestra SefioradeQuamantanga und zehntausend andere Unserer Frauen! Eine Chilenin würde nicht unschlüssig sein, mit Völliger Ueberzeugung zu sagen, dass sie der Nuestra SeiioradelaSierra ergeben ist, weil sie viel mächtiger sei, als die Nuestra SeßoradelCarmen und ebenso andere. Wir erinnern uns, eines Tages in der Kirche der Nuestra SenoradelaMerced zu Valdivia gehört zu haben, dass ein würdiger Haciendero andächtig Gott den Vater bat, sich für ihn bei der Nuestra SenoradelPilar zu verwenden, damit er eine gute Ernte erhalte. Ausser vielem andern bemerkt noch Herr Aimard, dass Alle für Alles um Hülfe angerufen werden, selbst für das Gelingen der Rache; und dass die Zahl der Geistlichen von allen Sorten und Farben, Mönchen und Nonnen, eine unendliche sei.

So weit der genannte Franzose, der sich, wie aus einzelnen Sätzen hervorgeht, über die sonst so wunderbar entwickelte Religion der südlichen Völker im Grunde seines Herzens lustig zu machen scheint; aber sieht es etwa, diesen von ewigen Bürgerkriegen durchwühlten Reichen gegenüber, im schönen Frankreich selbst viel besser aus? Wahrlich, eine treffendere Satire als diese hätte Herr Aimard auf die grosse Nation nicht schreiben können. Luxus statt der Kultur, Trug statt der Wahrheit, und statt der Sittlichkeit eine gränzenlose Verwilderung der Sitten verrathen sich rings, wo die römische Lehre mit ihrer Entstellung des Christenthums zur neuesten Mythologie sich eingenistet hat.

Eins ist gewiss: der Klerus drängt unter dem Vorwande der Religion seit langen Jahrtausenden überall zur absoluten Herrschaft über die Völker, ein jedes Mittel ist ihm dazu recht, das Ziel der Menschheit fremd und gleichgültig. Die heutige Civilisation kämpft mit ihm abermals den Kampf um das Dasein. Die Naturwissenschaft ist die neue grosse Waffe, die uns Gott zum Siege verliehen hat. Was würde aus Deutschland geworden sein, wenn die hinter den Kriegen stehenden Jesuiten 1866 ihr Spiel gewonnen hätten, oder vollends 1870, wo gleichzeitig mit dem ruchlosesten aller Friedensbrüche der römische Götze fertig gemacht worden war? Wohin schaute dieser Götze bereits mit verlangenden Blicken? Auf die Zertrümmerung des tüchtigen germanischen Menschenstammes; und wäre diese geglückt, so würden bald die Scheiterhaufen über ganz Europa wieder angezündet worden sein, um eine Barbarei herbeizuführen, die verhältnissmässig entsetzlicher ausgefallen sein würde, als irgend eine, die je zuvor in alten Zeiten die Menschheit umnachtet hat. Denn im Heidenthum erhoben sich wenigstens einzelne Völker, bei welchen eine hohe Kultur blühen konnte. Unsere Kultur dagegen, einmal zerschmettert, würde bis auf die letzte Blume ausgerottet worden, und so lange ausgerottet geblieben sein, bis die Völker unter einem namenlosen Blutregen sich wieder aufgerafft hätten.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874

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