Einleitung I: Die griechisch römische Religionslehre

Einleitung

Einleitung I: Die griechisch römische Religionslehre

Einleitung

Das Leben der nordischen Götter, ihr verschiedenartiges Walten, ihre Mängel und Missgriffe, welche letztern die Götterdämmerung Ragnarokr oder das Weltende zur Folge haben, können wir hier ebenso wenig schildern als das Loos der Erdenbewohner, ihren Verkehr mit den Äsen, Riesen, Alfen, guten und bösen Dämonen. Die nordischdeutsche Mythologie, so durchgebildet sie sonst erscheinen mag, charakterisirt eine gewisse trübe Färbung, welche sich ziemlich weit entfernt von der heiteren Anschauung, die im Allgemeinen die griechische Götterlehre auszeichnet. Jene entspricht dem dunkeln und rauhen Himmel, unter dem sie ersonnen ward, diese dem lichten und lachenden Firmament der glücklicheren Mittelmeerküsten. Ueberhaupt zeigt sich uns das griechische Göttersystem als das vollkommenste unter allen andern Vielgöttersystemen. Die Mythologie der Griechen ist die letzte, oder sie bildet, nach der schon erwähnten Ansicht Schellings, das Ende eines Prozesses, in welchem die Mythologie entsteht, und zwar, wie dieser Denker meint, eines den Menschen durch Urgewalt aufgedrungenen Prozesses, welcher verschiedene Systeme nach einander gebracht habe, so dass je das frühere dem spätem zu Grunde gelegt worden sei. In wie weit diess geschehen, ist eine schwere Frage, zumal in Bezug auf die Hellenen, die alles Fremde selbstständig zu verarbeiten pflegten. Wir müssen hier nicht allein das übergehen, was Schelling von der altgermanischen und skandinavischen Götterlehre geäussert hat, sondern auch seine Betrachtungen über die Entfaltung und Vollendung des griechischen Systems. Und von dem letztern darf der Abriss sehr kurz ausfallen, wenn es mir erlaubt ist auf meinen Katechismus der Mythologie aller Kulturvölker zu verweisen, worin man eine bei aller Gedrungenheit hoffentlich genügende Uebersicht der griechischrömischen Vielgötterei vorgelegt findet. Unter Verzicht auf Vollständigkeit der Darstellung sei daher hier nur so viel auseinandergesetzt. Bei den Griechen treffen wir drei nacheinander auftretende Götterherrschaften, von welchen die dritte und letzte sich fortan behauptete. In der ersten führten Uranos und Gäa das Zepter, in der zweiten Kronos und Rhea; Kronos entthronte nebst seiner Mutter den Uranos, seinen Vater. Ihn und Rhea wiederum verdrängte Zeus, der jüngste Sohn dieses Paares; er gründete nun das dritte Regiment, welches als ein milderes sich darstellt und desshalb dauernd wurde, bestehend aus ihm und seiner Familie, deren Mitglieder fernerhin die jüngeren Götter hiessen, im Gegensatz zu den gestürzten älteren. Als der Streit entschieden war, kam es zuvörderst zu einer Theilung des Weltalls, wie sie von Zeus bestimmt wurde, dem Oberhaupte der dritten Herrschaft. Da der letztere zwei ältere Brüder hatte, den Poseidon und Pluton, deren Ansprüche vorzugsweise berücksichtigt werden mussten, gränzte er drei besondere Reiche ab, den Himmel (mit der festen Erde), das Meergebiet und die Unterwelt (den Hades). Er selbst las für sich den Himmel aus, während Poseidon mit dem Wasserreich, Pluton mit der Unterwelt vorlieb nehmen musste: ein Jeder war Oberhaupt in seinem ihm angewiesenen Bezirke, nur dass Zeus die höchste Entscheidung über Alles fortbehauptete, nach Gutdünken vom Himmel her seinen Willen verkündigend. Denn im Himmel (Olympos) schlug er selbst seinen Thron auf, umgeben von Obergöttern, deren Zahl auf zwölf festgesetzt wurde, ihn selbst mitgerechnet. Auch Poseidon gehörte in diese Zwölfzahl, weil er sein Reich im Sonnenlichte der Oberwelt hatte; der unterirdische Pluton dagegen blieb von der Theilnahme an diesem Kreise ausgeschlossen. In Folge dessen pflegte man die Götter häufig in zwei Rubriken zu theilen, in obere und untere, in Superi und Inferi, in Lichtgötter und in Nachtgötter. Die zwölf Gottheiten des Himmels stellten einen abgeschlossenen Götterstaat vor; sie hiessen nach ihren griechischen und römischen Namen: Zeus (Jupiter), Hera (Juno), Phoibos Apollon (Phöbus Apollo), Artemis (Diana), Pallas Athene (Minerva), Hermes (Mercurius), Ares (Mars), Aphrodite (Venus), Hephästos (Vulcanus), Demeter (Ceres), Hestia (Vesta) und Poseidon (Neptunus). Zeus also stand an der Spitze der Gesammtheit, die übrigen Mitglieder erhielten besondere Aemter; ihr König jedoch machte sich nach allen Seiten geltend, auch sonst waren keine unverletzbaren Gränzen für die einzelnen Felder eines Jeden gezogen. Denn sie hatten zwar, wie gesagt, ihre eigenen Funktionen, aber mehrere unter ihnen griffen, wenn es die Umstände mit sich brachten, in die Wirksamkeit der Mitgötter über, mochte auch zuweilen Hader daraus entbrennen; manche aus der Zwölfzahl wurden nach und nach immer reicher ausgestattet, indem diejenigen, die sie riefen, ihnen zeitweise den Machteinfluss anderer Gottheiten zuschrieben. Nicht so verhielt es sich mit Zeus, der als oberster Herrscher seine ihm allein zustehenden Befugnisse unveräusserlich festhielt und seine Gewalt über Alles erstreckte, über das Grösste und Kleinste, das Nächste und Fernste. Wie gross man sich seine Erscheinung dachte, erfahren wir schon aus der Ilias des Homer; aber im erhabensten Bilde, fast dem alleinigen Gott der Christen gleich, zeigt ihn uns Aeschylos, wenn er im Tone der Psalmen singt:

Strophe
Heilvoll walte der Ewigen Obmacht
Die Beschlüsse des Zeus zwar sind stets unerforschlich;
Oleichwohl strahlen sie rings
Auch in Nacht, und Blindheit ward zu Theil
Dem gebeugten Staubsohn.

Gegen Strophe
Siegreich wandelt indessen und aufrecht
Das vollendete Werk, das Zeus' Stirne hervorr
Durch Einöden ja läuftief!
Seines Willens Pfad, durch Wolkennacht
Und verhüllten Abgrund.

Strophe.
In Staub wirft sein Geschoss
Der armen Tagsöhne thurmhohen Wahn;
Er siegt ohne Panzer sturmschnell,
Himmlisch und leicht, ohne Beschwer; Alles voltführt er blosaen Winks,
Nimmer verlassend seinen Thron, prangend in hehrem Lichtglanz.

Ausserhalb jener Zwölfzahl standen mehrere mächtige Gottheiten, Eros, Dionysos und Pan; der letztere auf ein ägyptisches Vorbild zurückweisend. Dem Zeus aber und andern Obergöttern war eine grössere oder kleinere Zahl von Untergöttern zugeordnet, ein Gefolge von Dienern oder Dienerinnen, von welchen einzelne eine grosse, einzelne eine minder bedeutsame Macht ausübten: sie vervollständigten durch ihre Mitwirkung den Götterstaat oder das mythologische System der Griechen. Den Glanz vermehrend traten auch die Halbgottheiten hinzu: denn mancherlei Helden und Heldinnen (Heroen und Heroinen) eroberten sich entweder den Himmel oder erlangten ein solches Ansehen, dass man sie göttlich verehrte. Den untersten Rang endlich nahm ein buntes Heer von Nymphen ein, theils auf dem Lande, theils im Wasser lebend und mit den Menschen verkehrend. Bei den Griechen geht die Welt nicht zu Grunde, der Gedanke der Unsterblichkeit lebt in ihnen; denn sie halten nicht blos die Götter für ewig, sondern nehmen auch das Fortleben der Menschen nach ihrem Tode an, wie schon die Vorstellung von der Unterwelt oder dem Schattenreiche, das sie geträumt haben, darthut; letzteres ist ein doppeltes, ein lohnendes und ein strafendes. Ueber dieses Gebiet herrschte besagtermassen Pluton, und die Bösen wurden nach dem Tartaros, dem Strafort des Todtenreiches, verwiesen, die Guten dagegen in das Elysium, das Eiland der Seligen, aufgenommen. Nicht blos ein Fortleben also, sondern auch Lohn und Strafe in diesem Fortleben gab es nach der Ansicht der Griechen. Sonstige Sagen, wie den Raub der Persephone (Proserpina), einer Tochter der Demeter (Ceres), den Mysteriendienst, der mit ihnen verbunden war, und die Deutung, Erklärung und Auslegung dieser und anderer Religionsgebräuche, den Kultus einzelner Gottheiten und die Heroengeschichten lassen wir unerörtert; denn theilweise herrscht in diesem Gebiete noch ein Dunkel, dessen Lösung, wenn sie überhaupt möglich ist, erst von erweiterter Kenntniss der Ueberlieferung zu hoffen sein würde.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874

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