Griwe oder Kriwe auch Krew

Griwe oder Kriwe auch Krew

Lettische Mythologie

Vielleicht stammt der Name von dem letzten Worte her, welches in den slavischen Sprachen Blut heisst. Er war der blutvergiessende Oberpriester der alten heidnischen Preussen; der erste derselben hiess Bruteno und war der Bruder des ersten Königs Widewud. Bei einem heftigen Bürgerkriege, in welchem seine Landsleute, die Skandier, in Preussen eingewandert, das Urvolk, die Rugier, oder Ulmerugier, zur Dienstbarkeit zu zwingen suchten, beriefen er und sein Bruder alle Völker nach der festen Burg Noytto zwischen dem frischen Haff und dem Meere. Hier ward ihnen die Nothwendigkeit der Eintracht vorgestellt, wenn sie nicht alle über die Nachbarn errungenen Vortheile verlieren wollten; der Zorn der Götter ward den Frevlern verheissen, wie ihre Gnade den Gehorsamen, und es ward ein Vertrag festgestellt, nach welchem Keiner den Andern verachten, noch wider seinen Willen zur Arbeit zwingen solle. Edler würde nur der geachtet werden, der sich vor dem Andern auszeichne; Ruhe und Eintracht sollte unter ihnen herrschen, und der Unterschied der Skandier und Rugier nur noch im Namen bestehen. Auf diese Weise wurden durch eine zweckmässige Verordnung und die Furcht vor der Gewalt der Götter zwei feindliche, aber gleich kräftige Völker zu Einem vereint und dieser Vertrag zu Romowe noch enger geknüpft. Der Griwe hatte auf das Volk den mächtigsten Einfluss, denn er, und nicht der sogenannte Fürst (Reiks) war der unumschränkte Gebieter, der Fürst war stets dem Griwe untergeben. In frühester Zeit gab es für das ganze Volk nur Ein Oberhaupt in der Person dieses Hohenpriesters. Jahrhunderte nachher, als das bevölkerte Land eine Vervielfältigung nöthig zu machen schien, oder als die Fürsten sich in das Reich, das bis dahin eins war, theilten, befand sich in jeder Provinz ein Griwe, dessen Macht auf Alles ringsumher sich erstreckte; Priester und Laie, Fürst und Bauer, Freier und Knecht war ihm untergeben, unbegränzt war seine Verehrung; nirgends durfte ein Fremder, welcher des Griwe Rath suchte, seinen geheiligten Sitz betreten, ferne von ihm musste er im Walde verweilen und warten, bis der Priester ihm eine Antwort auf seine Fragen ertheilte. Seinem Volke zeigte sich der Griwe so selten, dass derjenige, welcher ihn gesehen, es für das höchste Glück seines Lebens hielt; er lebte stets im geheimnissvollen Dunkel eines heiligen, von Niemand, bei augenblicklicher Todesstrafe, betretenen Waldes; er ertheilte daher auch nie die Befehle selbst; was von ihm an Verordnungen ausging, wurde nur durch Boten verkündet, und diese bevollmächtigte er durch sein geheiligtes Zeichen, durch den Griwale, vor welchem sich ein Jeder auf das Angesicht zur Erde warf. Solch einem von ihm verkündeten Gesetze musste nachgekommen werden; kein Widerspruch war erlaubt, der strengste Gehorsam galt als unerlässliche Pflicht bei dem ganzen Volke, wie bei den Priestern selbst. Die GriwenWürde ward stets auf Lebenszeit verliehen, aber sie selbst, die Hohenpriester, gaben sie nicht selten, ja mehrentheils nach einem gewissen Zeitraum auf, indem sie sich opferten. Wenn ein Griwe ewige Verehrung und lange Dauer seines Namens wünschte, so bestieg er unter feierlichen Gesängen und im Beisein des ganzen Volkes, welches sich zu einem solchen hohen Feste von allen Enden des Landes versammelte, einen Scheiterhaufen, der aus geheiligtem Holze erbaut war, ermahnte die Priester und das Volk zum treuen Glauben an die Götter, sagte, dass er ihre Sünden mit sich nehmen wolle, und liess sich nun Angesichts Aller verbrennen. Auf diese Weise sollen die meisten gestorben sein, und ein solcher Tod war eine Heiligsprechung; der Geopferte ward in die Gemeinschaft der Götter aufgenommen und, wie diese, angebetet.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874