Sieben Helden vor Theben

Sieben Helden vor Theben

Griechische Mythologie

Polynices und Eteocles waren Zwillingssöhne des Oedipus von Jocaste (seiner Mutter), nach Anderen von Eurygania. Oedipus ward nach Entdeckung seiner Blutschande vertrieben, seine Söhne blieben zurück, mit der Verabredung, Theben abwechselnd, Jeder ein Jahr lang, zu regieren, allein Oedipus, den sie in's Elend verstossen hatten, warf seinen väterlichen Fluch auf sie, der auch in reichem Masse in Erfüllung ging. Eteocles herrschte ein Jahr, dann liess er seinen Bruder nicht mehr zum Thron; dieser musste entfliehen und nahm das Halsband und den Mantel der Harmonia mit, Beides überaus köstliche Geschenke, von Vulcan verfertigt, mit Edelsteinen übersäet, doch Unheil bringend der jedesmaligen Besitzerin. Polynices kam zu Adrast, König von Argos, und traf in der Nacht mit einem andern neuen Ankömmling zusammen, mit dem aus Aetolien entflohenen Tydeus. Sie geriethen, einander nicht kennend, in Streit, und Adrast trennte sie. In dem Umstand, dass Polynices, dem Hercules zu Ehren, auf seinem Schilde einen Löwenkopf, Tydeus aber, wegen der calydonischen Jagd, einen Eberkopf als Helmzier trug, glaubte der König die Erfüllung eines alten Orakels zu sehen, welches ihm befohlen, seine Töchter an einen Löwen und einen Eber zu vermählen; so erhielt Polynices Argea, Tydeus Deipyle zur Gemahlin, und Adrast, nunmehriger Schwiegervater der Helden, versprach ihnen, sie in ihre Erbstaaten wieder einzusetzen. Polynices sollte zuerst auf seines Vaters Thron geleitet werden, und der Krieg, durch welchen dieses geschehen sollte, ist eben jener der Sieben vor Theben . Alle ersten Helden der Argiver wurden dazu aufgefordert, und es schlossen sich dem Adrast, als Oberbefehlshaber, und den beiden Schwiegersöhnen desselben, noch Amphiaraus, Capaneus, Hippomedon und Parthenopäus an. Amphiaraus, ein Liebling des Apollo und des Jupiter, ein Seher, wollte dem Zuge nicht folgen, weil er dessen unglücklichen Ausgang vorher wusste, und verbarg sich vor den an ihn Abgesandten; doch Polynices bestach des Königs Gattin Eriphyle (die Schwester des Adrast) durch das kostbare Halsband der Harmonia; sie verrieth nunmehr den Aufenthalt des Gatten, und dieser ward durch seine Ehrliebe gezwungen, mitzugehen, allein, wie er vorausgesehen, zu seinem Unglück. Die erste üble Vorbedeutung begegnete ihnen schon auf dem Zuge im Walde von Nemea: sie litten sehr an Wassermangel, begegneten einer Frau von Lemnos, Hypsipyle, welche den Sohn des Lycurgus, den jungen Opheltes, zu warten hatte, und baten dieselbe, ihnen eine Quelle zu zeigen, welches sie gerne that: bei der Rückkehr auf den verlassenen Weg fand man das Kind durch eine Schlange getödtet! Bestürzt über dieses Unglück, suchten die Helden den zürnenden Schatten zu versöhnen, indem sie ihm unter dem Namen Archemorus Leichenspiele hielten, doch war bei den Göttern schon ihr Untergang beschlossen. Tydeus ward als Gesandter nach Theben vorangeschickt, um Unterhandlungen einzuleiten, doch blieb auch dieser Versuch fruchtlos, wohl aber überfielen fünfzig Mann den Helden bei seiner Rückkehr aus den Mauern der Stadt; sie fanden den verdienten Lohn, indem sie alle, bis auf den Mäon, von seinem starken Arme fielen. Da man sah, dass mit Güte nichts auszurichten sei, besetzten die sieben Helden alle Zugänge zur Stadt, so dass Jeder sich vor einem der Thore lagerte, und dieselbe völlig eingeschlossen war. Die Thebaner fragten den Seher Tiresias um Rath, und dieser prophezeihete der Stadt den Untergang, wenn nicht Jemand sich freiwillig für das Heil derselben aufopfere; darauf stürzte Menöceus sich, trotz den Bitten seines Vaters Creon, von der Stadtmauer herab, und jetzt begann der Krieg. Die Thebaner waren hart bedrängt, und Capaneus erstieg schon die Stadtmauer, da schmetterte ihn Jupiters Blitz zu Boden. Nun wandte sich das Glück. Eteocles und Polynices tödteten sich gegenseitig im Zweikampf; von den sieben Helden waren fünf geblieben; den fliehenden Amphiaraus nahm Jupiter in den Schooss der Erde auf, Adrast verdankte allein der Schnelligkeit seines gottentflammten Rosses, des von Neptun erzeugten Arion, seine Rettung. Die siegenden Thebaner verboten die Beerdigung der feindlichen Leichen bei Todesstrafe, und Creon liess die unglückliche Antigone, welche ihrem Bruder Polynices den letzten Dienst der Liebe erwiesen hatte, lebendig begraben. Erst des menschlich gesinnten Theseus, Königs von Athen, Vermittelung vermochte die Thebaner, ihr grausames Verbot zurückzunehmen. Später ergriff Adrast noch einmal das Schwert, und führte die Söhne jener Helden, die sogenannten Epigonen, nunmehr siegreich, gegen Theben.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874