Slavische Mythologie

Slavische Mythologie

Man kann unter diesem Namen die Religionen der heidnischen Polen, Russen, Wenden, Böhmen, Mähren, Sorben, Masuren, Schlesier zusammenfassen. Die Lehre geht von einem doppelten Princip aus, einem guten und einem bösen Göttergeschlecht, an welches sich zahlreiche Untergottheiten reihen. Die Hauptfiguren lassen sich auf folgenden Stammbaum bringen, dessen Wurzel Gott selbst, Bog oder Swantewit ist, während alle anderen sich doppelt theilen, nämlich in Belbog und Czernebog (gut und böse), und in Razi und Zirnitra (Rathgeber und Zauberer). Hiebei geht man freilich von der Ansicht aus, dass Arkona der Hauptsitz der slavischen Religionen gewesen, denn nur dort wurde Swantewit als oberster Gott verehrt; in Kiew war diess der Blitze schleudernde Perun oder Perkun; eben so in Romowe; in Rhetra war es Radegast; allein dennoch kann man Swantewit als Hauptgott ansehen, weil er es in jedem Falle für alle westlich wohnenden Slaven war, und auch die östlichen ihn als einen der höchsten Götter verehrten. Die Russen, und die zunächst Kiew oder Nowogrod wohnenden Polen, unterschieden vier Classen von Göttern, welche alle unter sich im Gegensatz waren, und auch einzeln einander gegenüber standen. So die Götter der Menschen und die der Thiere; hier unterschieden sich, bei den Ersteren: Götter der Liebe und des Schmerzes; bei den Thieren: Götter des Wachsthums und des Verderbens; dann standen im Gegensatz die beiden andern Classen der Götter: des Volkes und der leblosen Natur, davon die Ersteren sich in Kriegsund Friedens-, die Andern aber in Landund Wasser-, Hausund Feld-Götter schieden; hiezu kamen nun noch bei den einzelnen Völkerschaften, und besonders bei den Polen, unzählige Stadt-, Dorf-, Stammund Privat-Götter, eine Neigung, etwas für sich zu haben, so dass der Eine einen bestimmten Heiligen dieser Stadt oder Kirche zu seinem Schutzpatron wählt, der Andere einen aus einer andern Stadt, jeder aber den seinen für den bessern hält. Dann hatten die kleinlichsten häuslichen Verrichtungen, das Moosholen, das Lichtanzünden, das Feuerauslöschen, das Zumachen der Laden, das Verschliessen der Thüre, das Anschneiden des Brodes, das Anzapfen des frischen Fasses u.s.w. ihre leitende Götter; eine zahlreiche Priesterschaft besorgte ihren Dienst, der vor den kunstlosen, aus Baumstämmen aufgefährten, mit Tüchern umhangenen Tempeln auf freiem Felde gehalten wurde, und lebte von der Leichtgläubigkeit der Menge, welche an Opfern alles Erdenkliche brachte, wozu denn die Fürsten nach jedem Kriege auch noch die Gefangenen fügten, welche (wenn es Christen waren, alle) grösstentheils geopfert, sonst aber zu Dienern der Priester gemacht wurden. Erst lange nach Heinrich des Löwen verheerenden Zügen, durch welche die Tempel der westlich wohnenden Slavenstämme zerstört wurden, hörte das Heidenthum in jenen Gegenden auf; einzelne abergläubische Gebräuche haben sich jedoch bis jetzt noch erhalten.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874