Centauren

Centauren

Griechische Mythologie

Die Centauren der ältesten Sage sind von der spätern Vorstellung von zweileibigen Ungeheuern zu unterscheiden. Jene waren ein wildes, waldund bergbewohnendes Urvolk Thessaliens, rauh behaarte, zottige Bergriesen, roher als die Lapithen, mit denen sie häufig im Kampfe liegen, und von denen sie endlich aus ihren Sitzen verdrängt werden. Ihre Stierjägerei (der Name heisst: Stierstecher) zu Pferd mag Anlass zur Ausbildung der bekannten Mischgestalt von Mensch und Ross gegeben haben. Wie sich indess diese Vorstellung erst in der nachhomerischen Zeit ausbilden konnte, bleibt dunkel: denn es ist doch kaum glaublich, dass in den nachfolgenden Zeiten der Anblick eines Reiters auf die Griechen einen so überwältigenden Eindruck gemacht haben sollte, dass ihre Phantasie zur Ausbildung jener Gestalt sich gedrungen gesehen hätte. Man gab den Ross-Centauren einen Stammvater Centaurus, der, aus der Umarmung des Ixion und der Nephele, einer Wolkengestalt, die jenem Jupiter anstatt der Juno unterschob, entsprungen, als Ungethüm von Göttern und Menschen gemieden, auf dem Pelion sich mit magnesischen Stutten begattete, und so jene Wesen zeugte. Auch Chiron, der bei Homer noch nicht in der Mischgestalt erscheint, musste bei den Späteren dieselbe annehmen. Bekannt sind besonders die Kämpfe der Centauren mit Hercules und Pirithous. Der Centaur Pholus hatte von Bacchus ein Fass köstlichen Weines erhalten, welches Hercules, als er auf seinem Zuge gegen den erymanthischen Eber bei Pholus einsprach, wider dessen Willen öffnete, worauf des Weines Duft die andern Centauren herbeilockte, die nunmehr nicht nur den Trank rauben, sondern auch den Fremdling tödten wollten. Hier bestand Hercules einen furchtbaren Kampf, den ihm Nephele noch schwerer machte, indem sie Regen herniederströmen liess, wodurch der Boden so schlüpfrig wurde, dass Hercules kaum stehen konnte. Doch siegte er, indem die meisten der Wilden seinen Pfeilen erlagen; dabei blieben auch sein Gastfreund Pholus und Chiron. Der zweite Kampf war der auf der Hochzeit des Pirithous zwischen den Lapithen und Centauren; er endigte mit der Ausrottung der Centauren, deren Wenige nur entweder auf die Insel der Sirenen entkamen, wo sie Hungers starben, oder nach Arcadien und Malea im Peloponnes flohen. Die Centauren waren ein beliebter Gegenstand der bildenden Kunst der Griechen. Ist diess für unsere Einbildungskraft schon bei der gewöhnlichen Anffassung derselben überraschend, wo der menschliche Oberleib auf dem Rumpfe des Pferdes sitzt, so bleibt es vollends unbegreiflich, wie man zur Zeit einer schon weit vorgeschrittenen Kunstbildung noch Centauren nach einer ältern Vorstellung ausführen mochte, nach welcher an den vollständigen Menschenleib der Unterleib eines Rosses angefügt ist. Einen solchen sehen wir
Centauren 67Fig. 67 im Kampfe mit Theseus. Centauren der gewöhnlichen Art stellen auf derselben Tafel dar die Figuren 68 und 69.


Aus Vollmer's Mythologie aller Völker, Stuttgart 1874